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Der silberne Sinn

Titel: Der silberne Sinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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mehr.«
    »Blutiges Erbrechen?«
    »Nein.«
    »Vielleicht Blut im Stuhl?«
    »Unsinn! Worauf wollen Sie hinaus, Doktor?«
    »Nur ein paar Fragen noch, Mrs Bellman: War der Schüttelfrost von Hustenanfällen begleitet, oder konnte mein Kollege Symptome einer Lungenentzündung ausmachen? Blutiger Auswurf vielleicht? Hatten Sie eine Hautverletzung, auf der sich ein rotes Knötchen mit einem schwarzen Zentrum gebildet hat, das später zu einer eitrigen Blase wurde?«
    »Nein, nein und nochmals nein. Ich habe Ihnen bereits alles gesagt. Und nun verraten Sie mir bitte endlich, was Sie herausgefunden haben.«
    »Ehrlich gesagt, kann ich das nicht.«
    »Wie bitte?«
    »Ich will damit sagen, ich kann mir keinen rechten Reim darauf machen. Einige der von Ihnen geschilderten Symptome passen, aber andere fehlen.«
    »Fehlen wofür, Doktor Sibelius?«, rief Yeremi aufgeregt ins Telefon.
    »Für eine Infektion mit Bacillus anthracis.«
    Yeremis Finger erschlafften. Das Handy fiel ihr aus der Hand, landete aber zum Glück auf dem Sofa, neben dem sie stand. Mit fahrigen Bewegungen hob sie es wieder auf, ließ sich rasch über die Lehne hinweg in die Polster sinken und beugte sich zum Tisch vor, wo ein Notizblock und ein Druckbleistift lagen. Während sie schon wieder ins Telefon sprach, kritzelte sie den lateinischen Namen aufs Blatt.
    »Doktor Sibelius, sind Sie noch da?«
    »Warum sollte ich nicht…«
    »Reden Sie von Anthrax! Soll das heißen, ich habe mich mit Milzbrand angesteckt?«
    »Zumindest behauptet Ihr immunologisches Gedächtnis, sich an eine solche Infektion zu erinnern. Ihre Körperabwehr hat sich kürzlich auf einen Mikrobenstamm eingeschossen, der bisher nur im Osten der USA registriert wurde. Der Höhe Ihres Antikörperspiegels nach zu urteilen, liegt die Erkrankung noch nicht lange zurück. Sie fällt etwa in die Zeit, als Sie sich in Guyana aufgehalten haben.«
    Yeremi schüttelte fassungslos den Kopf. »Anthrax«, wiederholte sie leise und versuchte zu begreifen, was diese Nachricht bedeutete.
    »Nun, wie gesagt, der Befund ist höchst widersprüchlich«, drängte sich die Stimme des Arztes in ihr aufgestörtes Bewusstsein. »Sie sagten, der Kollege habe bei Ihnen den Streptococcus pyogenes festgestellt. Diese Mikroben treten gewöhnlich in Ketten auf und haben die Form kleiner Kügelchen. Bacillus anthracis dagegen ist stäbchenförmig und bildet Sporen aus. Beide Organismen sind zwar grampositiv, was auf einen verwandten Aufbau der Zellwände hindeutet, und einige der von Ihnen geschilderten Symptome können auch bei einer Anthraxinfektion auftreten, aber…« Die Stimme des Arztes erstarb.
    »Wenn ich Sie richtig verstehe, passt mein Krankheitsbild nicht zur Erinnerung meines Immunsystems.«
    »So könnte man es ausdrücken.«
    »Wäre ein Trojanisches Pferd denkbar, ein Erreger, der nur wie eine Scharlachbakterie aussieht, dessen Erbmaterial aber – zumindest teilweise – vom Milzbrandbazillus stammt?«
    »Ja, sofern man die Möglichkeit von Genmanipulation nicht ausschließt. Darauf zielen Sie doch ab, oder? Zumindest einige anthraxspezifische Proteine müssen aber auch in der Zellwand des Bakteriums zu finden sein, sonst könnten wir den Milzbrand nicht in Ihrem Immunsystem nachweisen.« Yeremi hörte, wie Sibelius tief Luft holte, bevor er hinzufügte: »Offen gesagt, gefallen mir Ihre Gedankenspiele nicht besonders – und die Hinweise darauf, dass Sie damit Recht haben könnten, noch viel weniger. Ich habe den Zweiten Weltkrieg erlebt und genug Perversitäten gesehen. Wissen Sie überhaupt, was für ein Meilenstein in der Menschheitsgeschichte das Jahr 1972 war?«
    »Da bin ich geboren worden«, sagte Yeremi. Es war mehr als eine Entschuldigung für ihre Unkenntnis gedacht, aber Sibelius verstand die Antwort offensichtlich anders. Seine Stimme klang jedenfalls plötzlich sehr erregt.
    »Bei allem Respekt, Mrs Bellman, aber das ist nicht einmal eine Fußnote in den Annalen der Geschichte wert. Nein, ich rede von der Biowaffenkonvention. Mehr als hundert Staaten haben damals ein Verbot der Entwicklung, Herstellung und Lagerung bakteriologischer Waffen vereinbart. Das war für mich ein Freudentag, und nun…« Sibelius verstummte.
    Yeremi überhörte den bitteren Ton des Arztes. Ihre Antwort klang eher beschwichtigend. »Ich will Ihnen ja nicht zu nahe treten, Doktor, aber das Abkommen war doch nur ein Papiertiger. In meiner Studienzeit bin ich auf die Straße gegangen, weil sich die Unterzeichner nicht

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