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Der silberne Sinn

Titel: Der silberne Sinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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den Atem an.
    »Eddys Informant behauptet, ein gewisser Jeff Flatstone habe zu der Sicherheitstruppe von Jonestown gehört, die am 18. November 1978 Congressman Leo Ryan erschossen haben soll.«
    Yeremi öffnete den Mund, brachte aber keinen Laut hervor. Sie schüttelte nur ungläubig den Kopf. Das eben Gehörte war schlimmer als ein Keulenschlag, weil es sie völlig unerwartet getroffen hatte. Flatstone – derselbe Mann, dem sie ihre desaströse Expedition zu den Weißen Göttern verdankte – war eine Schlüsselperson im Jonestown-Massaker?
    Alles um sie herum begann sich zu drehen…
    »Jerry, bist du in Ordnung?« Carls fester Griff riss sie in die Wirklichkeit zurück.
    »Sag, dass du dir das alles nur ausgedacht hast, um mir einen Schrecken einzujagen, Opa Carl!« Sie lachte hysterisch. »Ist dir wirklich gelungen!«
    Er schüttelte langsam den Kopf. Dem Ausdruck in seinem Gesicht war anzusehen, wie wütend ihn dieses Gespräch machte. Carl liebte seine Enkelin. Sie hatte schon als kleines Kind so viel leiden müssen. Nie wieder sollte jemand ihr wehtun. Und nun fiel ausgerechnet ihm diese Rolle zu. »Nein, Kleines, ich habe diese Dinge nicht erfunden. Flatstone gehörte offenbar einer geheimen Killertruppe an, die sich Apostolic Guardians nannte.«
    »Apostolische Beschützer?«, wiederholte Yeremi auf Deutsch, weil die beiden ihr Gespräch wie gewohnt in dieser Sprache führten.
    »Hast du schon einmal von ihnen gehört?«
    Sie lauschte in sich hinein, um der Stimme ihrer Erinnerung eine Chance zur Antwort zu geben, aber aus den halb verschütteten Steinbrüchen ihres Unterbewusstseins drang kein einziger Laut herauf. »Nein, die sind mir noch nie begegnet.«
    Carl nickte, beobachtete einige Herzschläge lang die anbrandenden Wellen und sagte dann: »Ich kann verstehen, wenn dich das alles beunruhigt: Ein geheimes CIA-Projekt, das Techniken zur Gefühlskontrolle von Menschenmassen erforscht. Der Leiter der Abteilung fördert einen jungen Agenten, der zur Sicherheitstruppe von Jim Jones gehört. Der Reverend verführt neunhundert seiner Anhänger zum Selbstmord, lässt ein paar weitere, darunter auch deine Eltern, erschießen und nimmt sich schließlich selbst – nach offizieller Lesart in geistiger Umnachtung – das Leben. Und meine Enkelin musste das alles miterleben. Ich meine… Das hat sogar mich umgehauen.«
    »Als Teenie habe ich alles studiert, was über das Massaker zu kriegen war. Ich weiß noch, wie du mich ausgeschimpft hast, weil ich mal zu einer dieser Gedenkveranstaltungen gegangen bin, die jeden November von den Jonestown-Überlebenden auf dem Friedhof Oakland’s Evergreen veranstaltet werden. Warum habe ich nie irgendwo von Flatstone gelesen oder gehört?«
    »Als Agent wird er einen Decknamen benutzt haben. Vielleicht hast du ihn sogar gekannt und mit ihm Ball gespielt, ohne sein wahres Wesen zu durchschauen. Wie konntest du auch? Du warst ja erst fünf.«
    »In der Weißen Nacht sind einige in den Dschungel geflohen. Man hat lange nach Überlebenden gesucht – keine angenehme Situation für einen Killer. Hat Ed etwas darüber herausgefunden, ob oder wo Flatstone untergetaucht ist?«
    »Wie gesagt, Jerry, so gut wie alles, was ich dir hier erzähle, ist Mundpropaganda, manches vielleicht sogar erfunden. Mit dem, was wir bis jetzt haben, könnte man Flatstone vor keinem Gericht dieser Welt anklagen. Aber, um auf deine Frage zurückzukommen, ja, es gibt da noch ein paar unbestätigte Hinweise, auf die Eddy gestoßen ist. Demnach verschwand der Protege des mächtigen CIA-›Eisberges‹ für etwa zwei Jahre von der Bildfläche. Flatstone soll sich in Afghanistan aufgehalten haben, wo ja 1978 der Krieg gegen die UdSSR ausgebrochen war und sich der CIA fürsorglich der afghanischen Mudschaheddin angenommen hatte, um deren Widerstand gegen die Sowjetarmee zu stärken. Dann tauchte Flatstone plötzlich in Kalifornien auf, als Privatmann, genauer gesagt als Gründer eines erfolgreichen Wirtschaftsunternehmens namens Mental Health. Und wie es der Zufall so will, hat dieser Konzernchef ein ausgefallenes Hobby: Er interessiert sich für Legenden prähistorischer Kulturen, in denen das Erkennen und Beeinflussen menschlicher Gefühle so normal gewesen sein soll wie heute das Lesen und Schreiben von Briefen.«
    Yeremi glaubte ihren Körper nicht mehr zu spüren, alles war taub. In was hatte man sie da nur hineingezogen? Ihr Ärger klang mehr als deutlich an, als sie Carl fragte: »Warum rückst du

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