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Der silberne Sinn

Titel: Der silberne Sinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Geheimdienstberichten hatte man die Falschmeldungen über Roses Tod im Jahr 1923 aber schließlich als solche erkannt und von New York aus ihre Spur aufnehmen können. So ist man zuletzt auf mich gestoßen. Mutter wohnte zu dieser Zeit im Gartenhaus. Arthur Moltridge brachte zum Ausdruck, wie sehr er sich freuen würde, wenn die Familie noch Informationen über Hanussen besäße, alte Dokumente vielleicht, in denen er seine Arbeit beschrieben habe…«
    Carls Stimme versiegte wie die letzten heranschwappenden Wellen im Sand. Yeremi konnte den brennenden Schmerz in seiner Seele von seinem Gesicht ablesen, aber den Grund des Leidens verstand sie nicht.
    »Was für ein Mensch ist Moltridge gewesen? Was hat er wirklich gewollt, Opa Carl?«
    Ihr Großvater schöpfte tief Atem und erwiderte: »Ich habe ihn als sehr einfühlsamen Mann in Erinnerung, der Typ, dem du – sieht man mal von seinen kühlen Augen ab – sofort helfen willst, wenn er dich um einen Gefallen bittet. Da ist ein Foto von ihm in meiner Tasche. Willst du es sehen?«
    Yeremi zweifelte, ob ihre eisigen, gefühllosen Beine sie überhaupt noch bis zum Felsen zurücktragen würden – die Kälte kam von innen heraus. Behutsam nahm sie Carl das Bild aus der Hand.
    Es handelte sich um eine verblichene Farbfotografie. Sie zeigte ihren Vater, Lars, zusammen mit Carl und einem Fremden auf der Veranda des Bellman-Anwesens in El Paso.
    »Das ist Moltridge«, sagte Carl und tippte mit dem Zeigefinger auf den Unbekannten. »Den Schnappschuss hat Fredrika gemacht. Ich erinnere mich noch: Er hat sich mit Händen und Füßen dagegen gesträubt und behauptete, nicht fotogen zu sein.«
    Moltridge war ein stämmiger Mittdreißiger mit roten, sich bereits lichtenden Haaren und blassen Augen. Yeremi hatte schon viele Männer dieser Sorte gesehen. Schulterzuckend wollte sie Carl das Foto zurückgeben, doch er sagte, sie dürfe es behalten als Andenken an ihren Vater. Sie steckte das Bild auffallend langsam in die Innentasche ihres Parkas.
    »Worüber denkst du nach, Jerry?«
    »An eine Bemerkung von dir. Warte, das war… Ja! Als du mir meinen echten Urgroßvater vorgestellt hast. Es habe zu jeder Zeit Bewunderer gegeben, die an Hanussens paranormale Fähigkeiten glaubten – so oder ähnlich lauteten deine Worte. Einer dieser Fans ist Moltridge gewesen, stimmt’s?«
    »Du warst schon immer die scharfsinnigste von den Bellman-Frauen.«
    »Darf ich das als ein Ja nehmen?«
    Er nickte. »Ich erinnere mich noch gut an die Antwort, die ich Moltridge gab, als er mich um Einblick in den Nachlass meines Vaters bat. Dieser angebliche Regierungsbeamte war sehr genau über die Akten informiert, die Hanussen meiner Mutter in Berlin übergeben hatte. Aber er wusste nicht, dass sie in der Truhe mit den pausbäckigen Engeln ruhten. Um Moltridge abzuwimmeln, sagte ich ihm, Rose Bellman habe längst mit der Vergangenheit abgeschlossen. Außerdem sei sie hochbetagt und ziemlich hinfällig. Fragen nach Hanussen, dem Mann, der sie fast getötet und dann sitzen gelassen hatte, würden sie nur unnötig aufregen. Ich hoffte, den hartnäckigen Bittsteller mit diesem Bescheid loszuwerden, aber Moltridge blieb ebenso freundlich wie beharrlich. Schließlich hat er doch bekommen, wonach es ihn gelüstete.«
    »Du hat ihm allen Ernstes Hanussens Nachlass gezeigt?«
    »Es war Rose, die sich von ihm einwickeln ließ. Vom Tage ihrer Zustimmung an besuchte uns Arthur Moltridge regelmäßig. Wie gesagt, er war kein Flegel, sondern immer freundlich und taktvoll. Bald hatten wir uns an ihn gewöhnt, und wann immer er auftauchte, war er ein willkommener Gast. In zwanglosen Gesprächen versuchte er, meine Erinnerungen an den Besuch im Berlin der Dreißigerjahre aufzufrischen. Sein Wissensdurst war unstillbar. Wenn ich seine Fragen hin und wieder an Mutter weiterreichte, hat sie immer gesagt: ›Nur die Engelchen kennen das Geheimnis deines Vaters. ‹ Sie wollte wohl nicht über ihre so unglücklich beendete Liaison mit Hanussen reden. Jedenfalls hat Moltridge bei einem seiner Besuche auch deine Eltern kennen gelernt, Jerry. In schillernden Farben beschrieb er Lars und Rachel die Arbeit einer religiösen Vereinigung in Kalifornien, die sich People’s Temple nannte…«
    »Du meinst den Volkstempel von Jim Jones? Willst du damit sagen, Moltridge hat Mama und Papa in die Hände dieses Wahnsinnigen getrieben?«
    Carl senkte den Kopf. »Ich rechne mir diese Schuld an, Jerry. Damals war ich – wie auch deine

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