Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der silberne Sinn

Titel: Der silberne Sinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
Vom Netzwerk:
befördern, den Yeremi eigens für diesen Zweck gekauft hatte. Unmittelbar nachdem die Quipus in Sicherheit waren, würde sie den Wagen in einer Schrottpresse verschwinden lassen. Ein geschäftstüchtiger Altmetallverwerter stand schon Gewehr bei Fuß. Manchmal war es durchaus nützlich, finanziell unabhängig zu sein.
    »Wart’s nur ab, alles wird wie am Schnürchen klappen«, sagte Yeremi, während sie auf den Van der Reinigungsfirma warteten, der jeden Moment eintreffen musste.
    Saraf blickte sie verwirrt an.
    Sie lachte. »Nur so eine Redewendung. Sobald wir die Quipus haben, nehmen wir uns Flatstones Adjutanten vor. Und dann bringe ich dich in den Dschungel zurück.«
    »In meinem Volk sagt man: Es ist dumm, das Feuer anzuzünden, bevor der Braten erlegt ist.«
    »Wir schaffen das schon, Saraf.«
    »Mir gefällt es nicht, dass du mich in dem Kunsthaus allein lassen willst.«
    »Aber ich habe dir doch von den Überwachungskameras erzählt. Ihre Bilder werden vom Sicherheitspersonal kontrolliert. Du hast selbst gesagt, dass du diese Menschen nicht mit Gleichgültigkeit schlagen kannst, solange du keinen Kontakt zu ihnen aufgenommen hast.«
    »Das stimmt.«
    »Dann machen wir es so, wie ich es gesagt habe. Außerdem muss ich noch etwas erledigen, bevor man mir womöglich Hausverbot erteilt. Ich habe auf dem Server der Fakultät einige Daten versteckt, die ich dringend downloaden und löschen muss.«
    »Wie bitte?«
    »Der Server ist ein Computer, der für viele andere Computer Daten vorhält und verteilt und…«
    »Schon gut, du kannst es mir ein andermal erklären. Das dort ist doch der Wagen, auf den wir warten, oder?« Saraf deutete auf einen sich nähernden hellen Lieferwagen, auf dessen Seiten eine Putzfrau mit Kopftuch und Wischmopp abgebildet war.
    Yeremi atmete tief durch. Gleich würde es kein Zurück mehr geben. »Das ist er.«
    Sie kannte die täglichen Abläufe rund um die Archäologische Fakultät. Die Gebäudereiniger hielten immer um die gleiche Zeit Einzug, wenn die Büros sich bis auf ein paar hartgesottene Workaholics längst gelehrt hatten. Yeremi selbst war bis vor kurzem ein Mitglied in diesem erlauchten Kreis Arbeitswütiger gewesen, die sich und ihr Wühlen nach Geheimnissen, die niemand wirklich interessierten, für unverzichtbar erachteten. Der Van hielt vor dem Eingang des Pacific Film Archive, das im selben Gebäude wie das Kunstmuseum untergebracht war.
    »Jetzt!«, sagte Saraf und lief schnell auf den Wagen zu.
    Hinter der Windschutzscheibe blickte ihm ein hell- und ein dunkelbraunes Gesicht entgegen. Yeremi wurde sich erst jetzt bewusst, dass sie sich zum ersten Mal fest auf Sarafs Gaben verließ. Ohne dieses Vertrauen hätte der Plan nicht Gestalt annehmen können. Wenn alles klappte, würden sich die beiden Gebäudereiniger plötzlich unwiderstehlich schläfrig fühlen. Auch die Müdigkeit – obgleich von anderer Natur als Liebe, Hass oder Scham – sei letztlich eine Empfindung, mit der man »spielen« könne, hatte Saraf erklärt. Yeremi glaubte ihm – notgedrungen.
    Während sie sich an Sarafs Seite von vorn dem Lieferwagen näherte, konnte sie im Licht der Straßenlaterne das Unglaubliche mit verfolgen. Die Augen des Mexikaners und des Afroamerikaners schalteten erst auf Schlafzimmerblick, dann kippten ihre Köpfe nach hinten, und zuletzt sanken sie gegeneinander.
    »Das ging schnell!«, staunte sie, während Sarafs Hand schon am Türgriff des Wagens war.
    »Wenn man nur müde genug ist, schläft man auch rasch ein. Komm, hilf mir!«
    Yeremi blickte sich nach allen Seiten um. Niemand war zu sehen. Saraf öffnete die Tür der Fahrerkabine und zog den Mexikaner zu sich heran. Während er ihn wie eine Strohpuppe nach hinten trug, hatte Yeremi bereits die hinteren Türen geöffnet und für die Schläfer Platz geschaffen. Saraf ließ den Mexikaner hineinsinken und kehrte sofort nach vorn zurück, um den Schwarzen zu holen. Yeremi befreite den kleineren der beiden Männer derweil von seiner zweiten Haut, einem hellgrauen Overall mit dem aufgestickten Putzfrauenmotiv auf dem Rücken. Dieses Unterfangen kostete sie nicht wenig Überwindung, und der starke Schweißgeruch der Kleidung war nur einer der Gründe dafür. Gebäudereiniger Nummer zwei landete neben seinem Kameraden. Die Türen des Vans wurden wieder geschlossen. Das Entermanöver hatte kaum länger als eine Minute gedauert.
    Wenig später stiegen zwei Gestalten in hellgrauen Overalls aus dem Heck des Wagens: eine sehr

Weitere Kostenlose Bücher