Der silberne Sinn
zwei, fiel am 12. August 1941 in Russland. Kurt Egger, der dritte Meuchelmörder im Bunde, gilt seit dem 12. Februar 1945 als bei den Kämpfen in Budapest vermisst und wurde 1951 vom Amtsgericht Berlin-Neukölln für tot erklärt. Zwei Schlüsselfiguren aus Hanussens Leben sind nach seinem Tod spurlos verschwunden. Der erste war Hanussens ehemaliger Impresario Erich Juhn. Er hatte Ihren Urgroßvater bei den Nazis als Juden angeschwärzt. Der zweite Vermisste ist ein gewisser Dr. W. Baecker – ich spreche in meinem Buch über ihn. Dieser Nazi war nach dem Mord an Ihrem Urgroßvater noch für kurze Zeit Mitherausgeber der »Astropolitischen Rundschau«, wie er die »Hanussen-Zeitung« nun nannte. Später verliert sich auch seine Spur…
Yeremi lehnte sich in dem Schreibtischstuhl zurück und legte den Kopf in den Nacken. Mit geschlossenen Augen dachte sie über das bisher Gelesene nach. Sie teilte Kugels Ansicht. Selbst wenn nicht alle aufgezählten Todesfälle gleich Teil einer Verschwörung sein mussten, fiel ihre Häufung doch auf. Dzino war, wie Yeremi aus der privaten Korrespondenz ihres Urgroßvaters inzwischen wusste, über dessen Verbindung zu Denis Sefton Delmer im Bilde. Der Brite arbeitete für den Londoner Daily Express. Ausgerechnet diese Zeitung, die sich außerhalb von Hitlers Einflussbereich befand und daher nicht von ihm gleichgeschaltet werden konnte, berichtete über den Tod der Dzino-Familie. Spätestens seit 1941 war Delmer für den britischen Geheimdienst tätig.
Yeremi blickte wieder auf den Bildschirm im Deckel ihres Computers und massierte sich die Schläfen. Die Wahrheit steckte irgendwo in der Flut von Fakten, die mittlerweile in diesem Gerät als Bits und Bytes hübsch ordentlich aneinander gereiht lagen. Hanussen hatte seinem Privatsekretär befohlen, den ominösen Doktor W. Baecker »festzunageln«. War dieser Befehl letztlich Dzinos Todesurteil gewesen? Vielleicht hatte Baecker fortführen wollen, was seinem Chef nicht mehr gelungen war: ein konspiratives Treffen mit dem britischen »Zeitungskorrespondenten«; die Bitte um Vermittlung bei einem Geschäft mit den Amerikanern, denen er, Hanussens »Nachlassverwalter«, ein exklusives Wissen anbieten wolle… Yeremi konnte sich die Verhandlung lebhaft vorstellen:
Können Sie uns die Exklusivität Ihrer Informationen auch garantieren, Doktor Baecker?
Ja, das kann ich. Geben Sie mir etwas Zeit, und es wird keine Mitwisser mehr geben.
So oder ähnlich mochte Baecker gefeilscht haben. Yeremi steckte sich einen Cracker in den Mund, ohne den Blick vom Bildschirm zu nehmen. Der deutsche Hanussen-Experte wollte sich dahingehend natürlich nicht festlegen. Er verwies in seinen weiteren Ausführungen auf die Peinlichkeit, die ein Bekanntwerden von Hitlers enger Verbindung zu einem jüdischen Hellseher für die Nationalsozialisten bedeutet hätte. Dabei gab er, eher beiläufig, einen interessanten Hinweis.
Für die Nr. 26 der »Hanussen-Zeitung« waren zwei große Themen angekündigt worden: Das erste betraf die Ergebnisse von Hanussens Experimenten mit dem Halluzinogen Telepathin. Schwerpunkt Nummer zwei war ein großes Hitler-Horoskop. Ich konnte in den Archiven sämtliche Ausgaben des Wochenblatts wiederfinden. Bis auf eine, die im Juli 1932 erschienen war. Es handelt sich um die Nr. 26! Telepathin!
Da war er wieder, dieser Name, den Yeremi in keinem pharmakologischen Handbuch gefunden, den Al Leary aber trotzdem mehrmals benutzt hatte. Nur allzu gerne hätte sie gewusst, was in jener verschollenen Ausgabe der Hanussen-Zeitung über diese Substanz stand. Flüchtig las sie über Kugels Entschuldigungen hinweg, so wenig Greifbares herausgefunden zu haben. Offenbar unterschätzte der deutsche Wissenschaftler seine Arbeit.
Die E-Mail hatte mehrere Anhänge: Ablichtungen von Totenscheinen, Zeitungsmeldungen, Auszüge aus Gerichtsakten… Auch einige Aussagen der Mörder ihres Urgroßvaters befanden sich darunter. Bemerkenswert war das allerletzte Faksimile in dem virtuellen Paket Kugels, die von der Geheimen Staatspolizei protokollierte Äußerung Rudolf Steinles…
… daß ein Mann, der von sich behauptet habe, »er sei der deutsche Rasputin, er habe die SA in der Tasche und den Stabschef Röhm im Arsch, er sei in der Lage, die SA auszuspielen gegen wen er wolle, trotzdem er ein Jude sei«, auf dem schnellsten Wege beseitigt werden müßte. Auf meine erstaunte Frage, wer denn dieser Mann sei, wurde mir gesagt, dass es der jüdische
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