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Der silberne Sinn

Titel: Der silberne Sinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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fast so leicht zu beschaffen wie ein Sixpack root beer: Wozu der Aufwand, extra zur Komsomolez hinabzutauchen, die mit einem Reaktor und zwei Atomsprengköpfen vor der norwegischen Bäreninsel auf dem Meeresgrund liege, wenn sich gut fünfhundert Meilen weiter südöstlich – also rund um Murmansk – jeder Terrorist wie aus einem Selbstbedienungsladen beschaffen könne, was er für seine diabolischen Pläne brauche?
    Yeremi drehte das Radio ab. »Ich kann das nicht mehr hören. Mir wird schlecht, wenn ich mir ausmale, wohin das alles führen kann.«
    »Bist du die Einzige, der es so geht?«
    »Ich hoffe doch nicht!«
    »Ist schon seltsam, wie die Welt dann so verkommen konnte.«
    »Ich kann dem russischen Präsidenten nicht vorschreiben, wie er mit seinem Atommüll umgehen soll.«
    »Nein«, sagte Saraf, »nein, das kannst du wohl nicht.«
    Etwa zwei Meilen später murmelte Yeremi: »Warum hat er das getan?«
    Saraf wandte ihr sein Gesicht zu. »Wer? Der russische Präsident?«
    »Ich rede von dem Angler. Warum ist er in Bellman’s Paradise eingedrungen?«
    »Er wollte zu dir.«
    »Um mich zu…?«
    »Töten? Er hatte eine Feuerwaffe dabei. Aber ich bin mir nicht sicher, ob er das beabsichtigte.«
    »Willst du mich jetzt beruhigen? Gib’s auf. Es gelingt dir nicht.«
    »Wenn ich wollte, könnte ich es vielleicht. Aber der Grund, weshalb ich mir über die Absichten des Anglers im Unklaren bin, ist ein ganz anderer. Seine Gefühle wirkten so verschwommen auf mich. Da war so viel Angst. Wie das Rauschen eines Wasserfalls. Aber hinter diesem Klang habe ich noch etwas anderes wahrgenommen, das ich nicht recht zu deuten vermag.«
    »Es wäre aber sehr hilfreich, wenn dir das gelänge! Immerhin geht es hier um mein Leben.«
    Saraf blickte traurig auf die Straße hinaus. »Das weiß ich, Jerry. Glaube mir, das weiß ich.«
    Wie die Checkliste vor dem Start eines Spaceshuttle war Saraf noch einmal alle Punkte mit ihr durchgegangen. Die dunkle Seite des Fühlsinnes durfte nicht unterschätzt werden. Sie war machtvoll, gefährlich, aber wenn Yeremi die in letzter Zeit gelernten Lektionen anwandte, würde sie ihre Gefühle beherrschen und kein Mensch sie besiegen können. Selbst Al Leary nicht.
    Während sie an einem rechteckigen Granittisch im Caffe Trieste auf den Psychologen wartete, ging sie in Gedanken noch einmal alle Punkte der »Checkliste« durch: 1. Erkenne den Unterschied zwischen authentischer und funktionaler Einfühlung…
    Das Cafe in North Beach war weit über die Grenzen San Franciscos hinaus für seinen Espresso und für seine Musik bekannt. Mit Sandra hatte Yeremi hier schon manch kurzweiligen Samstagnachmittag verbracht. Nur hier konnte man gleichzeitig einen hausgerösteten Espresso trinken, sich von seiner Freundin über die neuesten Schlankheitskuren informieren lassen und dabei noch Papa Gianni zuhören, der italienische Volkslieder oder Opernarien zum Besten gab. Die ganze Giotta-Familie hatte sich dem Belkanto und den schwarzen Koffeinbomben verschrieben.
    … 5. Hüte dich vor ungewollter Intimität. 6. Achtung vor Extremen!…
    Sie überprüfte noch einmal den Sitz ihrer Garderobe, weil es ihr ein Gefühl der Sicherheit gab, wenn ihre Kleidung tadellos war. Yeremi trug dunkelblaue Velourslederschuhe mit Absatz, einen sandfarbenen, schmal geschnittenen, knielangen Rock, eine ärmellose Bluse aus nachtblauer Wildseide und einen darauf abgestimmten Cardigan.
    7. Entwickle ein Gespür für diejenigen, die immer einen Schuldigen brauchen und suchen. 8. Schärfe deinen Sinn für Interpretationen, hinter denen Eigeninteresse steckt. 9. Achte auf widersprüchliches Verhalten…
    Yeremi spulte ihre Kontrollliste ab und warf dabei einen kurzen Blick hinüber zu der mit Fotografien gepflasterten Wand. Wie ein harmloser Gast saß dort in der Ecke Saraf auf einer mit rotem Kunstleder bezogenen Bank. Mit seiner dunklen Sonnenbrille und dem von Carl ausgeliehenen schwarzen Hut ähnelte er einem bisher unentdeckten Mitglied der Blues Brothers. Allein ihn zu sehen gab Yeremi Mut. Vor dem Cafe hatten sich beide gegenseitig Glück gewünscht und er sie an seine Worte in jener Nacht erinnert, als sie gemeinsam am Strand spazieren gegangen waren: »Wenn jemand seinen Geist zu einer Festung macht, dann kann diese so leicht niemand einnehmen.« Yeremis Mundwinkel deuteten ein Lächeln an – sie würde eine Burg sein, die nichts und niemand zu Fall bringen konnte.
    10. Nicht vergessen: Einfühlung ist nicht

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