Der silberne Sinn
gekommen ist.«
»Du solltest besser wissen als ich, welch bedeutende Rolle die Verwendung bestimmter Drogen in den frühen Kulturen gespielt hat, auch in Mittel- und Südamerika. Funde rund um den Titicacasee liefern Belege dafür. Die Grabstätten der Wari sind umgeben von zerbrochenen Krügen, die mit dem Muster halluzinogener Pflanzen dekoriert sind. Überreste solcher Gewächse hat man in den Ruinen von Tiwanaku entdeckt, außerdem Utensilien für die Einnahme von Drogen und Schnupftabak. Ein Forscher ist erst kürzlich auf die Mumie eines Schamanen gestoßen, der ein ganzes Bündel Drogen und Medikamente bei sich hatte…«
»Ja, und in Ägypten wurde ein mumifizierter Pharao gefunden, der zu Lebzeiten gekokst hat – ich kenne solche Berichte, Al. Schon im Orakel von Delphi wurden Drogen genommen, um der Zukunft ihre Geheimnisse zu entreißen. Das erklärt aber noch nicht, warum du und dein Arbeitgeber so brennend an einem Wirkstoff interessiert sind, den ein Hellseher im Nazideutschland publik gemacht hat.«
»Du scheinst dich da in etwas verrannt zu haben, Jerry.«
»Ach, dann behauptest du also, dich gründlich auf die Expedition vorbereitet, selbst ›obskure Quellen‹, wie du es nennst, konsultiert, dich aber kein einziges Mal mit Erik Jan Hanussen alias Hermann Steinschneider befasst zu haben?«
»Nun, ganz will ich das nicht ausschließen. Irgendwann habe ich wohl mal etwas über ihn gelesen.«
Bis jetzt war Yeremis Schlachtplan aufgegangen. Jetzt wagte sie einen Schuss ins Blaue: »Angeblich soll ein Deutscher, der in den historischen Dokumenten als Doktor W. Baecker auftaucht, in Hanussens Geheimnisse eingeweiht gewesen sein und diese an den US-Geheimdienst verraten haben. Seltsamerweise hat man noch im Jahr von Hanussens Ermordung an der Duke-Universität mit Experimenten zur Telepathie begonnen. Einige Gerüchte besagen, Hanussen habe in die Vereinigten Staaten auswandern und derartige Forschungen unterstützen wollen. Könnte nicht Baecker – immerhin ist er ja später selbst in die USA emigriert – in die Bresche gesprungen sein, die Hanussens Tod gerissen hat?«
Leary zögerte. Er verschaffte sich Zeit, indem er einen Schluck Espresso nahm. »Wie, sagtest du, hieß dieser Deutsche?«
»Doktor W. Baecker. Vom Vornamen kenne ich nur den ersten Buchstaben.«
Noch ließ sich Leary viel Zeit, bis er schließlich die Achseln zuckte. »Tut mir Leid. Ich kenne nur Boris Becker.«
»Humor war nie deine Stärke, Al Leary. Nehmen wir also einmal an, dieser Doktor W. Baecker hat sein brisantes Wissen dem amerikanischen Geheimdienst verkauft, als Starthilfe für ihre Menschenexperimente gewissermaßen. Davon zumindest dürftest du ja schon gehört haben.«
»Natürlich kenne ich Bluebird. Es war unsere Antwort auf die Gedankenkontrollprogramme der Sowjets, Chinesen und Nordkoreaner…« Leary verstummte, als ihm Yeremis gespannter Gesichtsausdruck auffiel.
Sie saugte nachdenklich an der Unterlippe und nickte. Indirekt hatte er gerade zugegeben, von Baecker zu wissen: Die Informationen des Deutschen waren offenbar in ein Projekt namens Bluebird eingeflossen. Yeremi pokerte weiter. »Später wurde dieses Programm dann in MK-Ultra integriert, dessen Methoden hinlänglich dokumentiert sind. Baeckers Wissen muss unvollständig oder fehlerhaft gewesen sein, sonst hätte man sich MK-Ultra sparen können, dessen Ansatz wesentlich breiter war – man experimentierte mit Drogen, Folter, psychologischen Techniken…«
»Falls du gerade ein Ungeheuer aus mir machen willst, einen zweiten Auschwitzarzt vom Kaliber eines Doktor Mengele, dann muss ich dich leider enttäuschen. Gerald Ford hat 1976 einen Beschluss erlassen, der unseren Geheimdiensten strenge ethische Regeln auferlegt. Seither sind Menschenexperimente mit Drogen ausdrücklich verboten, sofern die Testpersonen nicht schriftlich ihr Einverständnis erklären. Das war praktisch der Todesstoß für MK-Ultra.«
Yeremi starrte Leary erstaunt an. Das hatte sie nicht gewusst. Das Jonestown-Massaker fand erst zwei Jahre nach dieser Präsidentenverordnung statt. Waren die Gerüchte um eine Verbindung von Reverend Jones zum CIA im Allgemeinen und dem MK-Ultra-Programm im Besonderen doch nur heiße Luft gewesen? Oder hatte ihr Leary gerade mit einer raffinierten Finte Schach geboten? Um sich nicht matt setzen zu lassen, durfte sie beim nächsten Zug keinen Fehler machen.
»Dann verstehe ich allerdings nicht«, sagte sie langsam, wie in großer
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