Der silberne Sinn
überraschende Konfrontation mit diesem Namen wirkte auf sie wie ein Stromstoß: Herzstolpern, Atemlähmung, sämtliche Härchen standen ihr zu Berge – so jedenfalls hätte sie die Reaktion ihres Körpers beschrieben. Noch einmal durchlebte sie im Zeitraffertempo die Angst der Weißen Nacht. Der Telefonhörer rutschte ihr aus den Fingern, doch Saraf fing ihn auf. Unwillkürlich berührte Yeremi die Narbe an ihrem Hals. Sekundenlang durchlebte sie noch einmal die Szene am Bett ihrer toten Mutter, als der Haarlose Eugene ihr fast die Kehle durchgeschnitten hätte…
»Bitte warten Sie einen Moment, Ken Frielander. Jerry scheint sich gerade an etwas sehr Schmerzhaftes zu erinnern«, sagte der Silbermann ins Telefon.
Er legte den Arm um ihre Schulter und sprach beruhigend auf sie ein. Allmählich gewann Yeremi ihr inneres Gleichgewicht zurück und ließ sich wieder den Hörer geben. »Mr Frielander?«
»Geht es Ihnen besser?«
»Ja, danke. Ich… Ich kenne den Mann, von dem Sie gerade gesprochen haben. Er… hat meine Eltern auf dem Gewissen.«
»Oh, mein Gott! Das tut mir Leid. Ich hoffe, ich habe da nicht eben…«
»Schon gut, Mr Frielander. Ich hätte Sie nicht angerufen, wenn es mir nicht darum ginge, die Ereignisse von damals aufzuklären.«
»Weil Sie glauben, dass sie noch nicht zu Ende sind?«
»Ja. Kennen Sie andere Zeugen, die Ihre Beobachtungen in Port Kaituma bestätigen können?«
»Sie sagten, Sie hätten es schon bei der Senatorin versucht?«
»Jackie Tailor? Ja. Sie wird von einer Furie abgeschirmt, die niemanden durchlässt.«
»Nun, ich verfolge die Berichterstattung um das Jonestown-Massaker schon seit siebenundzwanzig Jahren. Habe selbst einige Artikel darüber verfasst. Es gibt tatsächlich noch eine Reihe anderer Überlebender, aber scheinbar kann sich niemand mehr so genau an die Details der Attacke erinnern. Möglicherweise wurden die Leute zum Schweigen verpflichtet. Oder sogar bedroht.«
»Vom CIA?«
»Das kann ich nicht sagen. Mir persönlich wurde jedenfalls eine deutliche Botschaft von der Bundespolizei übermittelt. Ich hatte das FBI-Büro in San Francisco aufgesucht, weil zwei Filme von Greg spurlos verschwunden waren und ich annahm, sie seien vom Militär beschlagnahmt worden. Mein Partner hatte seinen Finger während der Schießerei ständig am Auslöser, aber keines der Bilder ist bis heute aufgetaucht. Jedenfalls haben mich die Beamten gleich vernommen und mir anschließend klar gemacht, wie störend sie eine Behinderung der laufenden Ermittlungen durch spekulative Artikel meinerseits empfänden.«
»Das klingt allerdings sehr nach einer Drohung.«
»Sie hatten eine sehr subtile Art, mir ihre Vorstellungen von ›Kooperation‹ zu vermitteln: höflich, aber bestimmt. Würde mich nicht wundern, wenn die anderen Zeugen Ähnliches erlebt haben.«
»Dann steht unsere Pulitzer-Story also auf wackligen Füßen.«
»Vielleicht…« Frielanders Stimme verlor sich im Rauschen der Telefonverbindung.
»Wenn Sie eine Idee haben, egal wie abwegig sie Ihnen erscheint, dann raus damit«, sagte Yeremi.
»Nun, ich erwähnte ja schon, dass Bob Brown den Angriff mit seiner Videokamera aufgenommen…«
»Heißt das, der Film existiert noch?«, platzte Yeremi aufgeregt heraus.
»Es sind damals, kurz nach der Weißen Nacht, eine ganze Reihe merkwürdiger Dinge geschehen. Erst verschwinden Gregs Filmrollen, und dann – Sie werden es kaum glauben – passiert mit den Videoaufnahmen von Bob Brown genau das Gleiche. Doch im November 1979, auf einem Treffen der Jonestown-Überlebenden in Oakland anlässlich des ersten Jahrestages des Massakers, tauchte das Video plötzlich wieder auf. Ich selbst habe nur davon gehört: Die Diamantformation, die ich erwähnte, soll deutlich auf dem Film zu sehen gewesen sein. Aber dann ist er erneut verschwunden.«
»Was soll das heißen?«
»Ich vermute, die Bilder waren zu brisant.«
»Aber die Zeugen, die diesen Film gesehen haben, leben noch?«
»Einige bestimmt.«
»Könnten Sie das herausfinden?«
»Das werde ich tun. Sollten FBI, CIA oder eine andere Regierungsbehörde die Aufnahmen unter Verschluss halten, dann können wir mit einer genügend großen Anzahl von Zeugen im Rücken vielleicht Druck machen, und der Film wird wieder freigegeben – sofern er noch existiert.«
»Tun Sie Ihr Bestes, Mr Frielander.«
»Das werde ich. Übrigens: Sagen Sie Ken zu mir.«
»Wenn Sie mich Jerry nennen.«
»Gerne, Jerry. Und jetzt werde ich Ihnen noch
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