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Der silberne Sinn

Titel: Der silberne Sinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Geschehens war, Mrs Bellman. Ich weiß, was ich dort gesehen habe.«
    »Würden Sie es mir verraten, Mr Frielander? Gibt es irgendwelche Beweise, die von der offiziellen Darstellung einer Gruppe schießwütiger Sektenfanatiker abweichen?«
    Diesmal antwortete der Journalist nicht sofort, anschließend dafür aber umso deutlicher. »Ja, die gibt es. Ich halte die Attacke auf Leo Ryan für eine gezielte militärische Operation.«
    Yeremi verschlug es die Sprache. Erregt riss sie die Augen auf und strahlte Saraf an.
    »Hallo, sind Sie noch da?«, tönte es aus dem Hörer.
    »Ja, ich bin am Apparat. Warten Sie, ich muss mir das notieren.« Yeremi holte Stift und Notizblock aus dem Rucksack und fing an zu kritzeln. Den Telefonhörer zwischen Wange und Schulter geklemmt, fragte sie: »Wie kommen Sie zu dieser Behauptung, Mr Frielander?«
    »Am besten, ich erzählen Ihnen, was damals auf dem Flugfeld von Port Kaituma vorgefallen ist. Ich beschränke mich auf das Wesentliche.« Frielander schilderte im Telegrammstil die mehr als siebenundzwanzig Jahre zurückliegenden Ereignisse. Er berichtete von den Männern auf dem langen, tief liegenden Anhänger des roten Traktors und von den Bewaffneten in dem zweiten Wagen, der sich im Schatten des Tiefladers genähert hatte.
    »Dann fielen die ersten Schüsse. Die zuvor noch bei dem großen Flugzeug stehenden guyanischen Polizisten waren plötzlich verschwunden. Auch das Militär hielt sich aus der Schießerei raus. Alles sah so aus, als habe man günstige Voraussetzungen für das spätere Blutbad schaffen, es aber keinesfalls verhindern wollen. Mein Partner Greg Robinson schoss etliche Fotos, und der NBC-Kameramann Bob Brown filmte die Attacke fast bis zu seiner eigenen Exekution – anders kann man es nicht ausdrücken«, sagte Frielander. »Bob ist aus kürzester Distanz durch einen Kopfschuss regelrecht hingerichtet worden. Mit Congressman Ryan hat es sich ähnlich verhalten. Und beim Angriff des Mordkommandos ist mir etwas Merkwürdiges aufgefallen: die Formation der Kämpfer. Später war in den Zeitungen immer wieder zu lesen, die Sicherheitstruppe von Jonestown habe sich mit ›glasigem Blick‹ seinen Opfern genähert, sich ›hölzern wie Marionetten‹ bewegt. Das stimmte zwar – sie verhielten sich tatsächlich, als stünden sie unter Drogen oder Hypnose –, aber diese Angreifer, davon bin ich fest überzeugt, waren nur Camouflage, nichts als Ablenkung. Die Hauptarbeit hat eine eiskalt operierende Gruppe geleistet, die sich so lange wie möglich in der Deckung der schießwütigen Vorhut bewegte. Diese Männer agierten so, wie man es von einer Eliteeinheit erwarten würde, in einer Diamantformation.«
    »Was verstehen Sie darunter?« Yeremi kritzelte das Wort auf ihren Block.
    »Stellen Sie sich die Gruppe der Kämpfer wie ein gleichschenkliges Dreieck vor, wie einen Keil, dessen Spitze zum Gegner vorrückt. Hinten ist die Figur geschlossen, aber ebenfalls gestaffelt, so wie bei einem Trapez. Jeder Schütze kann also einen großen Radius abdecken, ohne seinen Nebenmännern in die Quere zu kommen.«
    »Das klingt tatsächlich nicht nach einer Amateurtruppe.«
    »Sie sagen es! Die gingen ruhig, leise, brutal und methodisch vor.«
    »Was geschah dann?«
    Frielanders Stimme wurde düster. Immer wieder unterbrach er nun seine Schilderungen, die längst nicht mehr der Chronologie folgten. Dieses und jenes Ereignis blitzte im Feld seiner Erinnerungen auf wie Bäume im Licht eines nächtlichen Gewitters – die kaltblütigen Morde an Leo Ryan, Patricia Sturges und den Reporterkollegen Greg Robinson, Don Harris und Bob Brown, die blutüberströmte Jackie Tailor, die eigene Verwundung – erst zertrümmerte eine Kugel sein Handgelenk, und gleich darauf traf eine zweite seinen Arm –, die Flucht ins hohe Gras am Rande des Rollfeldes…
    »Würden Sie die Mörder wiedererkennen?«, unterbrach Yeremi den Reporter.
    »Unmöglich – sie trugen Fantasieuniformen, Hüte, ihre Gesichter waren bemalt. Bis auf einen. Es war offenbar ihr Truppführer, derjenige, der unter anderem Leo Ryan in den Kopf geschossen hat. Einmal nahm er kurz den Hut ab, um sich den Schweiß von der Glatze zu wischen. Da habe ich ihn wiedererkannt. Er gehörte zu den Leibwächtern von Reverend Jones: ein Schwarzer, etwa ein Meter achtzig groß, muskulös gebaut, hatte keine Haare, nicht mal Augenbrauen oder Wimpern. Sein Name war Eugene Smith.«
    Der Mörder ihrer Mutter! Yeremi würde ihn nie vergessen. Die

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