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Der silberne Sinn

Titel: Der silberne Sinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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musste er sich scharf nach rechts wenden, verschätzte sich aber beim links von ihm stehenden Schaft. Hier, wo sein halbblindes Auge ihm nur verschwommene Schatten zeigte, stieß er mit der Schulter gegen das Hindernis.
    »Achtung!«, stieß Saraf hervor.
    Der Speer zerfiel in seine Einzelteile. Aus der Decke drang jäh ein unheimliches Knirschen, etwa eine Sekunde lang, dann rasten Dutzende von Obsidianspießen nach unten.
    Madalin reagierte kaltblütig – Angst war ein Gefühl, und Gefühle kannte er nicht. Fast gleichzeitig mit Sarafs Warnung war er herumgewirbelt. Mit zwei schnellen Schritten erreichte er Flatstone, packte ihn am Revers und riss ihn aus der Gefahrenzone. Keinen Augenblick zu spät. Die Obsidianspieße trafen mit einem schrillen Klirren auf den Boden. Zwar brachen die Schäfte, aber die von einem Katapult abgeschossenen Klingen hätten den Stheno-Chef fast getötet.
    Ruppig befreite sich Flatstone aus Madalins Griff, bedankte sich knapp, um hiernach mit ausgestrecktem Zeigefinger auf Saraf zu zielen. »Noch so ein Trick…«, fauchte er, ohne seine Drohung näher zu präzisieren.
    »Ich habe Sie gewarnt«, antwortete Saraf ruhig.
    »Das stimmt«, pflichtete Madalin ihm bei. Sein Sinn für Fakten war offenbar nicht gestört.
    »Jetzt gehen Sie schon!«, befahl Flatstone, um seinen Fehler nicht einzugestehen. Vielleicht hatte der Silberne Mann ja doch sein Augenleiden bemerkt und ihn absichtlich in diese lebensgefährliche Situation gebracht.
     
     
    »Gleich sind wir am Ziel«, verkündete Saraf, nachdem sie zwei weitere Fallen überwunden hatten und sich nun einer neuen Prüfung gegenübersahen.
    Die drei Männer standen vor einer schiefen Ebene, die in einem Winkel von ungefähr dreißig Grad nach links geneigt war. Dort endete sie in einer scharfen Kante, hinter der das Nichts gähnte.
    »Was ist das nun wieder für eine Teufelei?«, flüsterte Flatstone.
    Saraf hob einen kleinen Stein auf und warf ihn in den breiten Spalt hinter dem Abriss der schiefen Ebene. Die drei Männer warteten und warteten – fast unhörbar war schließlich das Geräusch des Aufschlags.
    »Der Abgrund muss gewaltig sein«, sagte Flatstone. Er hatte Angst, und es war ihm auch anzusehen.
    »Nach Ihrem Maß ungefähr fünfundfünfzig Meter«, sagte Saraf.
    »Woher wollen Sie das wissen?«
    »Ich habe die Zeit gezählt, bis der Stein den Boden erreichte.«
    Flatstone stand nicht der Sinn danach, mit Saraf über dessen Berechnungen zu streiten. Etwas anderes interessierte ihn sehr viel mehr. »Was passiert, wenn wir über diese geneigte Fläche laufen?«
    »Das kommt darauf an.« Saraf deutete auf die Schräge. Abgesehen von einer Schicht Staub war sie auffallend glatt. Trotz des Belags konnte man deutlich ein Muster erkennen, das wie eingraviert wirkte: konzentrische Kreise, die, keiner erkennbaren Ordnung folgend, über die schiefe Ebene verteilt waren. Überall verbanden gerade Linien die einzelnen Ringe. »Was Sie dort sehen, dient nicht zur Verzierung, sondern es ist unser Pfad.«
    »Und wenn man die falschen Kreise betritt, geht’s abwärts?«, knirschte Flatstone.
    »Sie sagen es.« Zwischen Sarafs Finger drehte sich die letzte der Korallenperlen, in unmittelbarer Nachbarschaft des goldenen Anhängers.
    »Ziemlich schlüpfrige Angelegenheit. Glauben Sie wirklich, die flache Kreisgravur gibt uns genügend Halt?«
    Saraf ließ die Hand von dem Halsband sinken. »Das sollte unsere geringste Sorge sein.«
    Mit einem großen Schritt stieg er dicht am Abgrund auf die schiefe Ebene. Er achtete streng darauf, mit den Füßen in dem Kreis zu bleiben, den er sich erwählt hatte. Nach rechts deutend, forderte er Flatstone auf: »Klettern Sie auf den Sockel, und setzen Sie Ihre Füße in diesen Kreis dort. Sie haben es schwerer, weil dieser Weg nur für zwei Hüter gedacht ist. Deshalb müssen Sie gemeinsam jeweils einen Kreis benutzen.«
    »Sie machen mir Spaß! Die sind nicht viel größer als ein Frisbee.«
    Saraf wandte sich ganz um. »Ist das ein anderes Wort für Pizza?«
    »Ja. Ich steige nicht mit Madalin auf diese Rutschbahn.«
    »Wenn es Ihnen lieber ist, kann auch ich mit einem von Ihnen über die Ebene tanzen.«
    »Netter Vergleich! Aber danke. Sie könnten mich oder Madalin in den Abgrund stoßen. Das eine wie das andere wäre mir äußerst unlieb.«
    »Dann kehren wir also um?«
    »Nein!«, schrie Flatstone. Der Konflikt, in dem er sich befand, sprühte geradezu aus seinen eng stehenden Augen. Sich seinem

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