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Der silberne Sinn

Titel: Der silberne Sinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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kahler Flecken, schmutzig und verlaust. Ehe uns dieser Markt völlig verloren…«
    Ein dumpfes Krachen unterbrach die Rechtfertigungen des Psychologen. Erschrocken richtete er die Taschenlampe auf den Höhleneingang. Eine kleine Staubwolke war zu sehen. Nervös nahm er die Stablampe in die Waffenhand, um mit der nun freien das Walkie-Talkie aus der Jackentasche zu fischen. Während er den Lichtstrahl auf Yeremis Gesicht gerichtet hielt, drückte er die Sprechtaste und rief: »Mr Flatstone, hier ist Leary. Sind Sie in Ordnung? Over.«
    Keine Antwort. Nur statisches Rauschen.
    Leary wiederholte den Funkruf.
    Mit einem Mal schwoll das Störgeräusch auf einen ohrenbetäubenden Pegel an, und aus dem Walkie-Talkie drang, kaum hörbar, Flatstones Stimme: »Roger, Leary. Bei uns ist alles okay. Ich kann Sie nur sehr schlecht empfangen. Vermutlich wird der Funkkontakt gleich ganz abreißen, aber bleiben Sie auf Ihrem Posten. Over and out.« Ein lautes Knacken verriet den Abbruch der Verbindung.
    Kurz darauf war ein schabendes Geräusch zu vernehmen. Erschrocken blickte Leary zum Höhleneingang, der sich ebenso langsam schloss, wie er sich zuvor geöffnet hatte. »Was hat das zu bedeuten?«, stieß er hervor.
    Yeremi war von dem Vorgang weit weniger beeindruckt. Während sie ihre Fußfesseln unauffällig weiter lockerte, fragte sie: »Würdest du die Tür zu deinem kostbarsten Schatz einfach offen stehen lassen?«
    Der Psychologe sah sie verdutzt an. Mit einem Mal entspannte sich seine Miene, und er drehte sich zu der nun wieder ebenen Felswand um. »Nein. Ehrlich gesagt, hätte ich sie sogar gleich hinter mir zugeschlagen.« Er steckte das Funkgerät in die Jacke, und sein auf Yeremi gerichteter Raubtierblick kehrte zurück. Grinsend sagte er: »Anscheinend kann der Abend noch lang werden. Was hältst du davon, wenn wir uns ein wenig die Zeit vertreiben?«
    Flatstone blitzte Saraf wütend an. Er deutete mit dem Daumen auf den Felsquader hinter sich. »Wie viele von diesen Fallen müssen wir noch überwinden?«
    Der Silbermann zuckte die Achseln. »Fragen Sie mich das später noch einmal.« Damit wandte er sich um und lief den Tunnel hinab. Madalin und sein Boss folgten ihm.
    Zwei Wegkreuzungen später trafen die Höhlenwanderer auf eine Art Gitter, einen Wald von Speeren, die mit den Klingen nach unten zwischen Boden und Decke klemmten. Es war unmöglich, sich zwischen den dichten Schäften hindurchzuzwängen. Saraf blieb vor dem Lanzenwald stehen und spielte mit seiner Perlenkette.
    »Ich vermute, das ist Falle Nummer zwei«, sagte Flatstone neben ihm.
    »Wie haben Sie das erkannt?«
    »Was passiert, wenn wir die Spieße einfach herausreißen?«
    »Das kann ich nicht sagen. Aber wir sollten es besser vermeiden.«
    »Wozu habe ich Sie eigentlich mitgenommen?«
    Saraf ersparte sich eine Antwort und widmete sich wieder der Betrachtung der Lanzen. Nach kurzer Zeit begann er mit dem Zeigefinger auf diesen und jenen Speer zu deuten, ähnlich wie er zuvor die Segmente der Felstür abgezählt hatte. Dann griff er zielstrebig nach einem Schaft und zog daran.
    Unter normalen Umständen hätte er den Spieß nun in der Hand halten müssen, was Madalin zu erhöhter Vorsicht anstachelte. Doch der hölzerne Schaft zerbröckelte wie grober Sand zwischen seinen Fingern. Die rasiermesserscharfe Klinge am Boden war dagegen aus Obsidian und glitzerte im Licht der Taschenlampe wie ein gläsernes Skalpell.
    »Versuchen Sie es nur«, drohte Madalin, als er Sarafs nach unten gerichteten Blick bemerkte.
    Der Silbermann ignorierte den Rumänen und sagte zu Flatstone: »Wenn Sie mir folgen, berühren Sie die übrigen Speere niemals. Haben wir uns verstanden?«
    Der Stheno-Chef nickte eifrig. Ihm war anzusehen, wie wenig ihm diese Höhlenwanderung behagte.
    Langsam, Speer um Speer, bahnte Saraf sich und seinen Begleitern den Weg. Der Lanzenwald hatte eine Tiefe von neun, höchstens zehn Metern. Obwohl in den Höhlen das Wasser nicht gerade von den Wänden tropfte, hatte die Luftfeuchtigkeit offenbar ausgereicht, um das Holz im Verlauf von fünf Jahrhunderten mürbe werden zu lassen. Die aus vulkanischem Gesteinsglas bestehenden Klingen blieben unter den wachsamen Augen des Rumänen für Saraf unerreichbar. Endlich entfernte er den letzten Schaft und trat in den freien Gang. Madalin folgte ihm. Zuletzt drängte sich Flatstone heraus. Obwohl es in der Höhle alles andere als warm war, glänzte sein Gesicht von Schweiß. Um den Lanzenwald zu verlassen,

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