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Der silberne Sinn

Titel: Der silberne Sinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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die Anwesenheit ihres Erzfeindes in McFarells Büro war ein Schock für sie gewesen, aber das…!
    »Wenn Sie Doktor Leary nicht mit Ihrem schwarzen Schlägertrupp aus der Doe vertrieben hätten, müsste ich Ihnen diese Sache jetzt nicht beibringen. Im Übrigen haben Sie nie etwas von ihrer Abneigung gegen Mr Leary erwähnt.«
    »Aber Sie wussten, dass ich Al kenne.«
    »Zugegeben. Mir ist Ihre Liaison mit ihm damals nicht entgangen. Schließlich waren Sie zu der Zeit schon meine Lieblingsfamula…«
    »Hören Sie auf damit, Stan! Außerdem war es keine Romanze, sondern nur eine gute Freundschaft.«
    »Und was hat sie in Feindschaft verwandelt?«
    »Das ist meine Privatsache.«
    McFarells grüne Augen wechselten für Sekunden zu dem sitzenden Psychologen hinüber, der dem Anschein nach ganz und gar in die Betrachtung des Schrumpfkopfes auf dem Schreibtisch versunken war. Unnachgiebig nahm der Dekan wieder Yeremi ins Visier und sagte barsch: »Dann wollen Sie die Leitung der Expedition also aus privaten Gründen hinschmeißen? Ich habe Sie bis heute immer für einen Profi gehalten, Jerry.«
    Diese Äußerung war ein Tiefschlag, der saß. Yeremi hatte stets mit Stolz auf ihre Professionalität verwiesen. Aber eine Expedition zusammen mit Al Leary…! »Ihre Friss-oder-stirb-Taktik gefällt mir absolut nicht, Stan. Ich bin geneigt, mich lieber für das berufliche Harakiri zu entscheiden, als mit diesem Mann in die Wildnis zu gehen.« Ihr Kinn deutete auf Leary. »Sie wissen so gut wie ich, dass im Dschungel andere Gesetze herrschen als auf dem Campus. Das Leben des Teams hängt von einer reibungslosen Zusammenarbeit ab…«
    »Mr Leary hat bei den Marines gedient. Das bedeutet Überlebenstraining, Nahkampfausbildung, hohe mentale Belastbarkeit, und zudem genießt er als Psychologe einen hervorragenden Ruf. Tut mir Leid, Jerry, Sie haben mir keine überzeugenden Argumente genannt – ich kann Ihre Ablehnung nicht akzeptieren. Entweder arrangieren Sie sich mit Al Leary als Ihrem Stellvertreter, genauso wie Sie auch den von Flatstone vorgeschlagenen Botaniker und den Pharmakologen akzeptiert haben, oder die Expedition findet ohne Sie statt.«
    Yeremi hatte das Gefühl, alles drehe sich um sie herum. Unwillkürlich stützte sie sich am Schreibtisch ab, womit sie Leary den Blick auf den Schrumpfkopf verstellte. Der Psychologe sah zu ihr auf. Sein Gesicht war ausdruckslos, aber Yeremi glaubte trotzdem in den graublauen Augen ein triumphierendes Glitzern auszumachen. Hilfe suchend blickte sie ihren Mentor an. Anders als bei früheren Meinungsverschiedenheiten waren all ihre Drohungen heute wirkungslos an McFarell abgeprallt. Er zeigte nicht die geringste Bereitschaft nachzugeben. Wie sollte sie sich entscheiden? Diese Expedition bedeutete für sie mehr als nur eine berufliche Herausforderung. Längst war Yeremi mit ihrer neuen Aufgabe verwachsen. Sie wollte heraus aus Berkeley, aus Kalifornien, aus der Zivilisation. Es zog sie in die Wildnis. Und ihr ganzes Denken wurde von der Hoffnung getragen, in Guyana endlich abzuladen, was ihr dort vor Jahren aufgebürdet worden war. Ihr Leben sollte durch die Reise einen neuen Anfang finden…
    »Bei dem Gedanken, mit Al Leary zusammen in ein Boot zu steigen und tagelang durch den Dschungel zu fahren, wird mir jetzt schon übel, Stan.« Ihr Einwand klang nicht mehr so vehement wie noch vor wenigen Augenblicken, und sie vermied den Seitenblick auf ihren ehemaligen Freund.
    McFarell fing den ihm zugeworfenen Ball bereitwillig auf. Als Dekan stand er im Ruf, ein geschickter Schlichter zu sein. Eine fruchtbare Zusammenarbeit hieß zuallererst, die Würde jeder Partei zu wahren. Er lächelte und sagte in nachsichtigem Ton: »Das müssen Sie auch nicht, Yeremi. Ihr Team besteht aus acht Wissenschaftlern. Dazu kommen die Fotografin, ein Aufpasser vom guyanischen Wissenschaftsministerium, die von Ihnen angeheuerten Träger und Fährtensucher. Sie werden auf jeden Fall mehrere Boote benutzen. Und wenn Ihnen nach weiblicher Gesellschaft ist, können Sie sich an Irma Block oder Abby halten. Ihr Kontakt mit Mr Leary braucht sich nur auf das Nötigste zu beschränken; als Expeditionsleiterin liegt es in Ihrer Hand, wann und wie oft Sie mit ihm reden. Denken Sie nicht, mir wäre entgangen, welche Erwartungen Sie an diese Expedition knüpfen, und ich finde das durchaus legitim. Ich wünsche Ihnen den großen wissenschaftlichen Durchbruch – und Frieden für ihre Seele noch dazu. Erforschen Sie die

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