Der silberne Sinn
fahren und noch drei weitere durch den Dschungel laufen. Wichtigstes Zahlungsmittel zur Anheuerung von Trägern und Fährtensuchern seien daher die mitgebrachten »Handelswaren«: Äxte, Feilen, Macheten, Taschenlampenbatterien… Die Wai-Wai seien Fischer, Jäger und Bauern. Bargeld bedeute ihnen nicht viel. Was man brauchte, wurde getauscht: Blümchenstoff gegen Bananen und Orangen, Ananas, Gummistiefel und Messer gegen Muskelkraft und Ortskenntnis.
Vorbei an bescheidenen Holzhütten mit spitzen Grasdächern folgten die Neuankömmlinge und ihre neugierige Eskorte einem schlammigen Pfad. Einige Greise, die vor einem großen Gebäude im Zentrum von Gunn’s Strip saßen, beteiligten sich nicht am Begrüßungsritual. In ihren runzeligen Händen hielten sie Zedernholzstücke und Taschenmesser.
Einen Bogenschuss vom Treffpunkt der Schnitzer entfernt stießen Yeremi und ihre Begleiter auf ein winziges Haus, vor dem ein kleiner, stämmiger Mann damit beschäftigt war, einen orangefarbenen Vogel zu rupfen. Als der Indianer Clarke sah, warf er seine Jagdbeute auf ein großes Blatt, sprang von der Grasmatte auf und eilte ihm entgegen. Der Botaniker und der Fährtensucher begrüßten sich wie alte Schulkameraden.
Wachana Yaymochi bewegte sich geschmeidig wie ein Jaguar: voll gezügelter Kraft, die nur darauf wartete, entfesselt zu werden. Dabei reichte er Yeremi gerade bis zur Schulter. Sein Alter ließ sich nur schwer schätzen; er war vielleicht fünfundzwanzig oder dreißig. Sein glattes, kurzes Haar schimmerte bläulich schwarz. Mit den hohen Wangenknochen, dem breiten Gesicht und den mandelförmigen Augen besaß er das typisch indianische Aussehen, das noch an die Vorfahren der amerikanischen Ureinwohner im fernen Asien erinnerte. Der Kleidung nach hätte Wachana auch Fußballspieler sein können: kurze rote Shorts mit schwarzen Längsstreifen, blaues, ärmelloses Hemd. Nur die schwarzen Gummistiefel störten dieses Bild.
Die beiden Frauen wurden weniger überschwänglich begrüßt. »Yeremi R. Bellman, University of California, Berkeley, und Irma Block, National Geographic Magazine«, wiederholte Wachana, als wolle er die Namen in das kollektive Gedächtnis seines Stammes eingraben. Er sprach fließend Englisch, jedoch mit einem schweren Akzent, der Yeremis ganze Aufmerksamkeit beanspruchte, als er nun auf den geschäftlichen Teil des Unternehmens zu sprechen kam. Wachana wusste über Größe und Zielgebiet der Expedition genauestens Bescheid, und hierin liege das Problem, sagte er.
»Was soll das heißen?«, fragte Yeremi. Sie saß mit den anderen auf einem geflochtenen Teppich vor Wachanas Haus, das kaum groß genug war, um darin eine Hängematte unterzubringen.
Der Indianer wandte sich an Dave, als hätte der die Frage gestellt. »Die Maruwanaru-Brüder – Yuphon und Aaron – machen mit. Außerdem Kayanama Ayaw.«
»Erfahrene Männer. Ich kenne sie schon von meiner letzten Expedition«, erläuterte der Botaniker seinen Begleiterinnen.
Wachana fuhr unbeirrt fort. »Aber sie wollen den doppelten Lohn. Genauso die anderen Männer.« Er nannte vier weitere unaussprechliche Namen.
Yeremi schüttelte empört den Kopf. »Wir haben das übliche Entgelt vereinbart.«
»Dann werden sie nicht gehen«, erklärte Wachana mit Blick auf Clarke.
»Ich bin nicht bereit, mich erpressen zu lassen. Wir können uns auch andere Helfer suchen…« Yeremi verstummte jäh, weil Clarke seine Hand auf ihren Unterarm gelegt hatte. Hastig entzog sie sich der Berührung und funkelte ihn wütend an. Die dunklen Augen des Botanikers flehten sie an, sich herauszuhalten. Yeremi stieß schnaubend die Luft aus, sagte aber nichts.
»Du und deine Gefährten, ihr seid die besten Führer«, sagte Clarke.
Wachana grinste. »Wir sind die einzigen.«
»Wir werden den Preis zahlen.«
»Das wird die anderen beruhigen.«
»Und warum sollte das nötig sein?«
»Weil wir in ein heiliges Gebiet vorstoßen müssen. Es liegt jenseits der Pfade, die du und ich auf unserer letzten Reise besucht haben.« Der Wai-Wai blinzelte gen Himmel, als erwarte er von dort ein Zeichen. Als er den Blick wieder senkte, wirkte sein Gesicht hart wie gebrannter Ton. »Und weil in diesem Teil der Wassarais die Geister wohnen.«
Die Ausrüstung wurde auf acht Kanus verteilt: fünfhundert Liter Benzin, neunzig Liter Alkohol zum Kochen und Konservieren von Pflanzen, Dutzende Packen mit Zeitungen für Clarkes botanische Proben, neunhundert Kilo Lebensmittel,
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