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Der silberne Sinn

Titel: Der silberne Sinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Wai-Wai-Indianer lebten, ein Dorf, das man auf keiner Straße erreichen konnte, ein Ort jenseits der Welt.
     
     
    Kurz nach dem Start unterhielt Yeremi sich erneut mit Clarke, der in derselben Reihe wie sie, jedoch auf der anderen Seite des schmalen Mittelganges Platz genommen hatte. Sie war ins Heck geflüchtet, weil Al Leary ganz vorne hinter den beiden Piloten saß. »Was halten Sie als Botaniker von der Idee, in einer ehemaligen britischen Kolonie nach einem Volk zu forschen, das der Aufmerksamkeit des Empire entgangen sein soll?«
    Clarke schob die Unterlippe vor. »Mehr als achtzig Prozent der Landfläche Guyanas liegt unter einem grünen Flor üppiger Vegetation. Die Einheimischen bezeichnen alles, was sich jenseits der schmalen Küstenregion befindet, schlicht als Hinterland. Ich würde es eher ›vergessenes Land‹ nennen. Der tropische Regenwald im Süden ist so gut wie unerforscht. Als ich 1999 zum ersten Mal die Wassarais besuchte, hieß es, niemand, auch kein Indianer, sei jemals in dem Gebiet gewesen. Beantwortet das Ihre Frage?«
    Yeremi nickte. »Sie werden lachen, Dave, aber das gefällt mir: Wir haben Spionagesatelliten entwickelt, mit denen man aus dem Weltraum die neueste Schlagzeile der New York Times lesen könnte, aber trotzdem gibt es immer noch unerforschte Flecken auf der Welt, die voller Geheimnisse stecken.«
    »Ich glaube, es kommt nicht so sehr darauf an, was wir sehen können, sondern vielmehr darauf, wofür wir unseren Blick öffnen.«
    Yeremi sah für einen Moment aus dem Fenster. Unter ihnen lag ein ausgedehntes Zuckerrohrfeld. Nickend wandte sie sich wieder dem Botaniker zu.
    »Sie scheinen ein nachdenklicher Mann zu sein, Dave.«
    »Darüber habe ich, ehrlich gesagt, noch nie nachgedacht.«
    »Wenigstens ist Stan… Ich meine Professor McFarell. Zum Glück ist er in Berkeley geblieben. Sonst müsste ich mir unentwegt seine Visionen über die Weißen Götter anhören. Schlimm genug, dass wir ihn täglich über das Satellitentelefon kontaktieren müssen.«
    Über Clarkes Gesicht ging ein verschlossenes Lächeln, das schwer zu deuten war, und er erwiderte: »Mein Boss ist genauso versessen darauf, jeden Fortschritt unserer Suche zu erfahren. Er hat die Briefings zur Bedingung gemacht.«
    »Sie meinen, wir müssen ihn regelmäßig über alles informieren, damit er uns nicht den Geldhahn abdreht?«
    »Mit Ihrem vorwurfsvollen Unterton sind Sie bei mir leider an der falschen Adresse, Yeremi. Ich bin, wenn man so will, ein Wissenschaftssöldner. Flatstone hat mich gekauft. Es gab da so eine dumme Geschichte, die sich verheerend auf mein Bankkonto ausgewirkt hat. Und da meldet sich Mental Health bei mir und lädt mich gegen Zahlung eines satten Honorars zu dieser Expedition ein. Ich habe ja gesagt. Finden Sie das verkehrt?«
    Yeremi saugte an ihrer Oberlippe, schüttelte dann den Kopf und sagte: »Meistens sind es nicht so sehr die Taten als eher die Beweggründe, an denen etwas auszusetzen ist. Zu welchem Zweck hat Flatstone Sie in das Team berufen?«
    »Sie kennen ja seinen Ehrgeiz. Er will unbedingt diese empathischen Telepathen finden. Sollten sie tatsächlich existieren, könnten sie ihre Fähigkeiten pflanzlichen Wirkstoffen verdanken.«
    »Sie denken an Halluzinogene, wie sie im Peyotl-Kaktus stecken?«
    »Der Peyotl enthält Meskalin, das ist richtig. Wie ich sehe, haben Sie Ihre Hausaufgaben gemacht.«
    »Hier ein bisschen in der Fachliteratur gestöbert, da einem alten Mann zugehört…«
    »Ich vermute, er ist Mexikaner.«
    Yeremi musste schmunzeln. »Und außerdem mein Großvater. Er hat mir schon vor Jahren von der Verwendung des Kaktus in der Folklore seines Heimatlandes erzählt.«
    »Man sagt nicht nur dem Peyotl, sondern auch zahlreichen anderen Pflanzen nach, sie würden übersinnliche Wahrnehmungen unterstützen. Aus Yage – das ist eine südamerikanische Liane – kann man Harmin, ein anderes Halluzinogen, gewinnen. Es soll die Gabe des Hellsehens hervorrufen. Offen gestanden halte ich nichts davon. Mit Drogen sollte man nicht herumspielen. Sogar Norryl hegt Zweifel an der Existenz einer Substanz, die einem Menschen empathische Fähigkeiten verleihen kann.«
    »Dann hat sich Flatstone für sein Geld also einen Haufen Skeptiker eingekauft. Seltsam, aber mir gefällt dieser Gedanke.«
    »Solange Sie mit seinen Dollars ungestört forschen können?« Clarke musste lachen. »Ist schon komisch, aber mir gehen die gleichen Gedanken durch den Kopf. Ich hoffe ein paar neue

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