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Der silberne Sinn

Titel: Der silberne Sinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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geliefert. Das machte sie wütend. Und sollte Al Recht behalten, würde das ihre Wut nur noch steigern. »Also gut«, schnaubte sie. »Jetzt werden die Glacehandschuhe ausgezogen. Ich muss nur kurz in mein Zelt. Hol du bitte in der Zwischenzeit Wachana. Wir treffen uns an Sarafs Krankenbett.«
    Die beiden stoben auseinander.
    Wenig später umzingelte eine Schar Albtraumgeschädigter das zum Verhörzimmer umfunktionierte Ein-Mann-Lazarett. Yeremi erschien mit einer wasserdichten Kartentasche unter dem Arm. Bald fanden sich auch Leary und Wachana ein, und die Befragung konnte beginnen.
    »Haben Sie uns den Traum geschickt, Saraf?«, fragte Yeremi.
    »Blicke auf die Oberfläche eines Sees herab, und du siehst dein zweites Gesicht; betrachte deine Träume, und du lernst dein inneres Wesen kennen«, antwortete der Waldläufer stoisch. Seine ausdruckslose Miene gab wenig Aufschluss darüber, was er wirklich dachte.
    »Weshalb wollen Sie uns von hier vertreiben, Saraf?«
    »Frage deine Freunde, warum sie diese Reise in den Dschungel unternommen haben.«
    »Nein!«, schnaubte Yeremi. Diesmal wollte sie hart bleiben. »Nein, ich frage Sie, Saraf. Sie wollen Ihre Sippe schützen, nicht wahr? Deshalb diese Albträume. Solange Sie denken können, haben Ihre Leute in diesem Wald gewohnt. Früher haben sie noch mit den Indianern verkehrt, bis Ihrer Gruppe selbst dieser Kontakt zur Außenwelt zu riskant wurde und sie sich zurückzog. Die ›weißen Indianer‹ wurden unsichtbar, waren wie vom Erdboden verschluckt, und so soll es, wenn es nach Ihnen geht, auch bleiben. Wenn ich mich irre, dann sagen Sie ‘s mir.«
    Ein Anflug von Unsicherheit huschte über Sarafs Gesicht, bevor es ein seltsam gütiges Lächeln zeigte, das auf Yeremi allerdings eher beunruhigend wirkte. »Was ist?«, stieß sie hervor.
    »Du bist anders als deine Gefährten, Yeremi Bellman.«
    Etliche Augenpaare wandten sich aus kritischer Distanz der Expeditionsleiterin zu.
    »So, jetzt langt’s!«, zischte sie erbost, blätterte ungestüm in ihren Karten herum, bis sie die Satellitenaufnahme von den Wassarai Mountains gefunden hatte. Sie ließ die aufgeschlagene Mappe vor Saraf aufs Bett fallen und fragte: »Was sehen Sie da?«
    Seine große Hand fuhr behutsam über die glatte Plastikhülle. »Bunte Farben.«
    Wenn Sarafs Sippe tatsächlich seit Jahrhunderten abgeschieden im Regenwald lebte, dann wäre jede andere Antwort verdächtig gewesen. Yeremi beugte sich vor und tippte auf die drei roten Felder, deren Entdeckung letztlich den Anlass zu der Expedition gegeben hatte. »Stellen Sie sich vor, dieses Bild hätte ein Vogel gemalt, der einmal hoch über Ihren Wald hinweggeflogen ist. Was ist dann das da?«
    Saraf schaute zuerst die Felder an, dann Yeremi. Er verschränkte die zugepflasterten Arme vor der bandagierten Brust und schwieg.
    Heftiger als nötig blätterte sie zur nächsten Karte um, die in Falschfarben einen vergrößerten Ausschnitt der Höhlen des Orion zeigte. Wieder tippte sie auf die drei quadratischen roten Flächen. »Erkennen Sie es jetzt?«
    Einen Moment lang schienen Sarafs blaue Augen die Vierecke aus der Karte herausbrennen zu wollen, aber dann gab er das sinnlose Unterfangen auf. Seine Lider begannen zu flimmern, bis er sie fest zudrückte. Er schwankte. Sein Gesicht wurde aschfahl, und das Kinn sank ihm auf die Brust. Offenbar trug er einen inneren Kampf aus, der ihm fast die Besinnung raubte. Yeremi bedauerte schon, dem Verletzten so hartnäckig zugesetzt zu haben, da hob Saraf unvermittelt den Kopf und schaute ihr fester in die Augen, als sie es je bei einem Menschen erlebt hatte.
    »Ihr werdet den Weg dorthin auch so finden, nicht wahr?« Seine Stimme war kaum hörbar.
    Yeremis Ärger wich einer irritierenden Schwerelosigkeit. Ihr Team existierte nicht mehr. Nur sie und dieser von Schmerzen gepeinigte Mensch schwebten in der fremden Dimension, die aus dem Blau seiner Augen zu bestehen schien. Zu ihrer Verwunderung konnte sie darin lesen: »Sorge« stand da geschrieben, »Furcht« und auch »freudige Erregtheit«. Mit der Kraft ihres Willens schüttelte sie diese widersprüchliche Sinnestäuschung ab und sagte sanft: »Hätten wir Sie nicht gerettet, dann wären wir schon längst dort, um den Eingang zur Höhle zu suchen. Ihn zu finden ist nur eine Frage der Zeit.«
    »Seid ihr gekommen, um uns zu töten?«
    »Aber nein! Sie haben mein Wort darauf: Wir wollen Ihr Volk kennen lernen.«
    Saraf nickte feierlich. »So soll es sein, Yeremi

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