Der Simulant
stellt es kopfschüttelnd ins Regal zurück.
Und aus dem Lautsprecher kommt kratzig und dumpf die Stimme meiner Mutter: »Was hat Sie dazu bewegt, Ärztin zu werden?«
Paige zuckt mit den Achseln. »Gegen irgendetwas muss man seine Jugend schließlich eintauschen … «
Der Monitor schaltet auf die leere Laderampe hinter dem St. Anthony ’ s.
Aus dem Off sagt die Stimme meiner Mutter: »Aber wie sind Sie darauf gekommen?«
Und Paige antwortet aus dem Off: »Ich weiß nicht. Eines Tages wollte ich eben Ärztin werden … « Dann verschwindet ihre Stimme im Nebenzimmer.
Der Monitor schaltet auf den Parkplatz: Der Fahrer des Abschleppwagens kniet neben einem blauen Auto. Die Empfangsschwester steht mit verschränkten Armen daneben.
Ich drehe an der Abhöranlage herum und lausche.
Der Monitor schaltet zum Empfang, und ich sehe mich selbst mit dem Ohr am Lautsprecher.
Auf Nummer fünf klappert eine Schreibmaschine. Auf acht surrt ein Föhn. Auf zwei sagt meine Mutter: »Kennen Sie den alten Spruch: >Wer sich nicht an die Vergangenheit erinnert, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen?< Also, ich finde, dass die, die sich an ihre Vergangenheit erinnern, noch schlechter dran sind.«
Paige sagt aus dem Off: »Die, die sich an die Verga n genheit erinnern, neigen dazu, die Geschichte erst recht zu vermasseln.«
Der Monitor schaltet auf einen Korridor, und da sind sie wieder, Paige und meine Mutter, die ein aufg e schlagenes Buch im Schoß liegen hat. Selbst in Schwarz-Weiß ist zu erkennen, dass es ihr Tagebuch ist. Und sie liest darin. Lächelnd.
Sie blickt auf, dreht sich zu Paige um, die den Rol l stuhl schiebt, und sagt: »Ich bin der Meinung, wer sich an die Vergangenheit erinnert, wird davon g e lähmt.«
Und Paige schiebt sie weiter und sagt: »Man könnte auch sagen: >Wer die Vergangenheit vergessen kann, ist uns anderen weit voraus.<«
Und wieder werden ihre Stimmen unhörbar.
Auf Nummer drei schnarcht jemand. Auf zehn knarrt ein Schaukelstuhl.
Der Monitor schaltet auf den Parkplatz, wo die Schwester gerade etwas auf einem Klemmbrett unte r schreibt.
Bevor ich Paige wieder finden kann, wird die Em p fangsschwester zurückkommen und sagen, dass mit ihren Reifen alles in Ordnung sei. Und sie wird mich wieder von der Seite ansehen.
Was würde Jesus nicht tun?
Wie sich herausstellt, hat bloß irgendein Arschloch die Luft rausgelassen.
33
Mittwoch heißt Nico.
Freitag Tanya.
Sonntag Leeza, die ich auf dem Parkplatz vor dem Gemeindezentrum abfange. Gleich neben dem Raum, in dem die Sitzung der Sexsüchtigen stattfindet, in der Besenkammer nur zwei Türen weiter, tauschen wir Körpersäfte aus. In einem Eimer mit grauem Wasser lehnt ein Schrubber an der Wand. Leeza liegt nach vorn gebeugt auf den Kartons mit Toilettenpapier, und ich nehme sie von hinten so heftig ran, dass ihr Kopf bei jedem Stoß auf die gefalteten Putzlappen vor ihr schlägt. Ich lecke ihr den Schweiß vom Rücken, um meine Nikotinvorräte wieder aufzufüllen.
Das ist das Leben auf der Erde, wie ich es gekannt habe. Der grobe schmutzige Sex, den man auf ausg e breiteten Zeitungen treibt. Das ist mein Versuch, wi e der dorthin zurückzugelangen, wo ich vor Paige Mar s hall war. Die Vergangenheit zurückzuholen. Mein Ve r such, das Leben zu rekonstruieren, wie ich es noch bis vor wenigen Wochen geführt habe. Als meine Funkt i onsstörung noch so schön funktioniert hat.
Ich frage Leezas struppigen Hinterkopf: »Du sagst mir doch, wenn ich dir zu freundlich werde, ja?«
Ich ziehe ihre Hüften an mich ran und sage: »Du musst mir die Wahrheit sagen.«
Ich rammle sie in regelmäßigen Stößen und frage: »Du findest doch nicht, dass ich weich werde, oder?«
Um noch nicht zu kommen, stelle ich mir Flugzeuga b stürze vor, oder dass ich in Hundescheiße trete.
Mein Schwanz explodiert gleich. Ich denke an Pol i zeifotos von Autounfällen und Schussverletzungen aus nächster Nähe. Um nichts zu empfinden, rammle ich mechanisch weiter.
Schwanz reinschieben, Gefühle wegschieben. Wenn man sexsüchtig ist, ist das alles dasselbe.
Tief in ihr drin, umschlinge ich sie mit den Armen. Fest eingerammt, packe ich mit jeder Hand eine Brust und spiele an den harten Warzen.
Leeza presst ihren dunkelbraunen Schatten auf die hellbraunen Kartons mit Toilettenpapier und sagt: »Mach mal was ruhiger.« Sie sagt: »Was willst du d a mit bloß beweisen?«
Dass ich ein gefühlloser Wichser bin.
Dass mir alles egal ist.
Was würde Jesus nicht
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