Der Simulant
tun?
Leeza, Leeza mit ihrem auf drei Stunden begrenzten Freigang, sie krallt sich in den Klopapierkarton und hustet stoßweise, und ich fühle, wie ihre Bauchmu s keln sich unter meinen Fingern zuckend zusamme n ziehen.
Die Muskeln ihres Beckenbodens, die pub o kokzygealen Muskeln, auch irgendwo da unten, alles krampft sich mit unglaublich festem Griff um meinen Schwanz z u sammen.
Siehe auch: Gräfenberg-Zone.
Siehe auch: Göttinnenpunkt.
Siehe auch: heiliger tantrischer Punkt.
Siehe auch: taoistische schwarze Perle.
Leeza stützt sich mit den Händen an die Wand und drängt sich mir entgegen.
Alle diese Namen für diese eine Stelle, alle diese Sy m bole für das einzig Wahre. Die Föderation der femini s tischen Gesundheitsfürsorge spricht von der Scheide n innenwand. Der niederländ i sche Anatom Regnier de Graaf, der im siebzehnten Jahrhundert gelehrt hat, nannte diese Ansammlung von erektilem Gewebe, Nerven und Drüsen die weibl i che Prostata. Alle diese Namen für die wenigen Zentimeter Harnröhre, die man hinter der Innenwand der Vagina ertasten kann. Die Vorderwand der Vagina. Gelegentlich auch als Bl a senhals bezeichnet.
Jeder will dieser kleinen bohnenförmigen Region einen Namen geben.
Um dort die eigene Flagge zu setzen. Ein eigenes Symbol.
Damit ich nicht komme, denke ich ans erste Semester Anatomie. Wie wir die beiden Schenkel der Klitoris seziert haben, die Crura, jeweils etwa so lang wie ein Finger. Wie wir die Corpora cavernosa seziert haben, die zwei zylinderförmigen Schwellkörper des Penis. Eierstöcke präparieren. Hoden präparieren. Man lernt, die Nerven zu sezieren und beiseite zu legen. Der Formalingestank der Leichen. Formaldehyd. Geruch von neuen Autos.
Mit diesem Leichenzeug im Kopf kann man stunde n lang reiten, ohne irgendwo anzukommen.
Man kann ewig weitermachen, ohne etwas anderes zu fühlen als Haut. Das ist die Magie dieser sexsüchtigen Weiber.
Als Süchtiger fühlt man sich, wenn man es treibt, a l lenfalls betrunken oder stoned oder hungrig. Imme r hin, wenn man das mit anderen Gefühlen vergleicht, mit Trauer, Zorn, Angst, Sorgen, Verzweiflung und Depression, nun ja, dann sieht eine Sucht gar nicht mehr so übel aus. Sie kommt einem wie eine Möglic h keit vor, über die man mal nachdenken sollte.
Am Montag bleibe ich nach der Arbeit zu Hause und sortiere die alten Kassetten, die meine Mutter bei i h ren Therapiesitzungen mitgeschnitten hat. Ein ganzes Regal voll mit zweitausend Jahren Frauengeschichte. Die Stimme meiner Mutter, die feste und tiefe Stimme von damals, als ich noch ein kleiner Scheißer war.
Das Bordell des Unterbewussten.
Gutenachtgeschichten.
Stell dir ein schweres Gewicht auf deinem Körper vor, es drückt dir Kopf und Arme immer tiefer in die Polster der Couch. Von der Kassette in den Kopfhörer: Erinn e re dich, wie du auf einem Handtuch eingeschlafen bist.
Auf einer dieser Kassetten steht der Name Mary Todd Lincoln.
Ausgeschlossen. Zu hässlich.
Siehe auch: die Sitzung mit Wally Simpson.
Siehe auch: die Sitzung mit Martha Ray.
Oder hier: die drei Bronte-Schwestern. Keine echten Frauen, nur Symbole, nur ihre Namen als leere Hü l sen, in die man etwas hineinprojizieren kann, die man mit uralten Stereotypen und Klischees füllen kann, mit milchweißer Haut und Tournüren, mit Knöpfschuhen und Reifröcken. Nackt bis auf Fischbeinkorsetts und gehäkelte Haarnetze, rekeln sich Emily und Charlotte und Anne Bronte eines schwülen Nachmittags nackend und gelangweilt auf den Rosshaarsofas in ihrem Salon. Sexsymbole. Den Rest erfindest du dir dazu, die R e quisiten und Stellungen, das Rollpult, die Tretorgel. Du machst dich zu Heathcliff oder Mr. Rochester. Leg die Kassette ein und entspann dich.
Als ob wir uns die Vergangenheit jemals richtig vo r stellen können. Die Vergangenheit, die Zukunft, das Leben auf anderen Planeten, das alles sind nur Extr a polationen, nur Projektionen dessen, was wir kennen.
Ich sitze hinter meiner verschlossenen Tür. Denny kommt und geht.
Als sei das nur ein harmloser Zufall, ertappe ich mich dabei, wie ich die Marshalls im Telefonbuch durchg e he. Sie steht nicht drin. Manchmal nehme ich abends nach der Arbeit den Bus, der am St. Anthony ’ s vorbe i fährt. Niemals sehe ich sie an einem der Fenster. Im Vorbeifahren ist nicht zu ermitteln, welches der Autos auf dem Parkplatz ihr gehört. Ich steige aber nicht aus.
Ob ich ihr die Reifen aufschlitzen oder einen Liebe s brief schreiben soll – ich weiß
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