Der Simulant
Nicht mehr.
Nico zuckt mit den Achseln und stopft den BH wieder in den Ärmel des Mantels zurück. Die Sexsüchtigen sind schon alle in Zimmer 234 verschwunden. In den Korridoren mit ihren frisch gebohnerten Linoleumb ö den ist niemand mehr. Ich sehe mir die Anschlagtafeln an den Wänden an. Kirchliche Mitteilungen, Malwet t bewerbe für Kinder. Mit Fingerfarben gemalte Porträts von Jesus und den Aposteln. Jesus und Maria Magd a lena.
Auf dem Weg zu Zimmer 234 bin ich Nico einen Schritt voraus. Plötzlich packt sie mich hinten am Gürtel und zerrt mich an eine der Anschlagtafeln.
Mein Bauch ist so gedunsen, so von Blähungen und Krämpfen gepeinigt, dass der kleine Ruck am Gürtel reicht, beißende Säure in meiner Kehle hochschießen zu lassen. Ich lehne mit dem Rücken an der Wand, sie presst mir ein Bein an die Weichteile und schlingt mir die Arme um den Kopf. Warm und weich sind ihre Brüste zwischen uns eingekeilt, ihr Mund saugt sich an meinem fest, und beide atmen wir ihr Parfüm. Ihre Zunge befindet sich zum größeren Teil in meinem Mund. Ihr Bein reibt nicht meine Erektion, sondern mein verstopftes Gedärm.
Die Krämpfe könnten auf Dickdarmkrebs hindeuten. Oder auf eine akute Appendizitis. Hyperparathyroidi s mus. Nebennierenapoplexie.
Siehe auch: Darmverstopfung.
Siehe auch: Fremdkörper im Dickdarm.
Rauchen. An den Nägeln kauen. Früher war Sex für mich das Heilmittel gegen alles, aber jetzt, mit Nico so dicht auf mir drauf, kann ich einfach nicht mehr.
Nico sagt: »Okay, wir suchen ein schöneres Plät z chen.«
Als sie zurücktritt, krümme ich mich vor Schmerzen und taumle in Richtung Zimmer 234 davon. Nico faucht hinter mir her.
»Nein«, faucht sie.
In Zimmer 234 sagt der Gruppenleiter gerade: »Heute Abend wollen wir an der vierten Stufe arbeiten.«
»Nicht da drin«, sagt Nico, aber dann stehen wir schon in der offenen Tür und werden von den Leuten ang e starrt, die um einen großen, niedrigen, mit Farbe und angetrocknetem Leim bekleckerten Tisch herum si t zen. Die Leute hocken auf winzigen Plastikstühlen, die so niedrig sind, dass ihnen die Knie weit nach oben stehen. Und alle gaffen uns an. Alle diese Männer und Frauen. Diese legendären Gestalten. Diese Sexsücht i gen.
Der Gruppenleiter sagt: »Ist hier jemand, der noch an der vierten Stufe arbeitet?«
Nico schmiegt sich an mich und flüstert mir ins Ohr, sie flüstert: »Wenn du da reingehst, zu diesen Vers a gern«, sagt sie, »lass ich dich nie wieder ran.«
Siehe auch: Leeza.
Siehe auch: Tanya.
Und ich gehe um den Tisch herum und lasse mich auf einem der Plastikstühlchen nieder.
Alle sehen mich an, und ich sage: »Hallo. Ich heiße Victor.«
Ich sehe Nico in die Augen und sage: »Mein Name ist Victor Mancini, und ich bin sexsüchtig.«
Und ich sage, dass ich schon seit einer Ewigkeit nicht mit der vierten Stufe vorankomme.
Das Ganze komme mir nicht wie ein Abschluss, so n dern eher wie ein Anfang vor.
Und Nico, die noch immer in der Tür steht, bricht in Tränen aus, nicht bloß Augensaft, sondern Tränen, von Mascara schwarz gefärbte Tränen. Sie wischt sie weg und sagt, sie schreit: »Aber ich nicht!« Und dann rutscht ihr der BH aus dem Ärmel und fällt auf den Boden.
Ich mache eine Kopfbewegung zu ihr hin und sage: »Und das ist Nico.«
Und Nico sagt: »Ihr könnt mich alle mal.« Dann schnappt sie ihren BH und rennt weg.
Jetzt erst sagen die anderen: Hallo, Victor.
Und der Gruppenleiter sagt: »Okay.«
Er sagt: »Wie gesagt, der beste Weg zur Erkenntnis besteht darin, sich zu erinnern, wo man seine U n schuld verloren hat … «
40
Irgendwo nordnordöstlich über Los Angeles war ich so wund gerieben, dass ich Tracy bitten musste, mal kurz aufzuhören. Das war vor ewigen Zeiten.
Einen dicken Strang weißer Speichel zwischen meinem Schwanz und ihrer Unterlippe, das Gesicht erhitzt und gerötet vom Würgen, meinen wunden Schwanz in i h rer Faust, hockt Tracy sich auf die Fersen und sagt, das Kamasutra gebe den Rat, wenn man richtig rote Lippen haben wolle, müsse man sie mit Sch weiß von den Hoden eines weißen Hengstes einreiben.
»Echt«, sagt sie.
Ich kriege einen seltsamen Geschmack im Mund und starre ihr auf die Lippen: Ihre Lippen und mein Schwanz haben dieselbe violette Farbe. Ich sage: »Aber so was tust du doch wohl nicht, oder?«
Jemand rappelt an der Tür, und wir sehen beide schnell hin, ob sie auch wirklich abgeschlossen ist.
Das hier ist das erste Mal, die Situation, die jeder
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