Der Simulator
hatten.«
Es graute mir davor. »Sie wissen gar nicht, was für ein Scheißgefühl es ist, mit ihm zu sprechen.«
»Ich kann’s mir vorstellen.«
»Er schaut Sie an mit einer Mischung aus Neid und Ehrfurcht, aus Hass und Bewunderung. Es ist kaum auszuhalten.«
»Ob wir unserem Gott auch so begegnen würden?«
»Ich will es mir lieber nicht vorstellen.« Aber er hatte recht, irgendwer musste sich diesen Löwitsch vornehmen, und dieser irgendwer war naheliegender Weise ich. »Ok, Stefan, ich gehe, aber lassen Sie mir noch ein bisschen Zeit. Ich muss mir was überlegen.«
»Gut Chef, aber denken Sie dran. Je länger er verrückt spielt, desto gravierender die Folgen.«
»Ich weiß, Stefan, ich weiß.«
In der Tür drehte sich Kurz noch einmal um: »Fast hätte ich es vergessen, da gibt es noch ein anderes kleines Problem.«
Ich stöhnte. »Was denn noch?«
»Elea Hauser hat versucht, sich umzubringen.«
»Weiß man, warum?«
»Keine Ahnung, Chef. Die psychoemotionale Umweltanpassung hat versagt. Weiß auch nicht, wie das passieren konnte.«
Volkstümlich hätte man das als Depression bezeichnet. »Das heißt?«
»Ich fürchte, wir müssen Elea Hauser löschen. Eine Umprogrammierung wäre zu aufwändig.«
»Ja, tun Sie das.« Auf eine einzelne Einheit kam es nicht an.
Als er gegangen war, aktivierte ich meinen Arbeitsmonitor. Das Gespräch mit Doc Schmitt ging mir noch immer durch den Kopf. Lag in Blinzles Zeichnung, im Bild von Achilles und der Schildkröte, tatsächlich des Rätsels Lösung?
Vor ein paar Tagen hatte ich meinen persönlichen Suchassistenten beauftragt, alles Wissenswerte über Zenon und seine Paradoxien zusammenzutragen. Er hatte das Material bereits gesichtet und für mich aufbereitet.
Ich weiß nicht, was ich mir davon versprochen hatte, aber das Ergebnis war niederschmetternd. Vermutlich hätte ich mir den Aufwand sparen und gleich in Googlepedia nachschauen können.
Zenon hatte Mitte des vorchristlichen Jahrtausends gelebt und zehn Paradoxien hinterlassen. Allen gemeinsam war, dass sie sich mit dem Verhältnis von Raum, Zeit und Bewegung beschäftigten. Seine Trugschlüsse sollten aufzeigen, dass man zu unsinnigen Ergebnissen kam, wenn man einheitliche Prozesse in viele Einzelschritte aufteilte.
Ich war so damit beschäftigt, Parallelen zur Gegenwart und dem Simulator zu ziehen, dass ich beinahe den entscheidenden Hinweis übersah. Irgendwo stand in einem Nebensatz Zenons vollständiger Name, offenbar nannte man ihn Zenon von Elea .
Es war noch keine Stunde her, dass dieser Name in einem anderen Zusammenhang gefallen war. Hatte Stefan Kurz nicht eine Elea Hauser erwähnt, eine Reaktionseinheit, die durch einen Selbstmordversuch aufgefallen war?
Ohne zu wissen, warum, war ich mir sofort sicher, dass Blinzles Zeichnung auf Elea Hauser anspielte. So selten dieser Name war, so wenig konnte dieses Zusammentreffen Zufall sein.
Ich rief Hausers Profil auf und nahm mir Zeit, das ganze Dossier eingehend zu studieren. Elea Hauser war eine alleinstehende Frau von vierzig Jahren. Sie lebte mit ihrem Hund in der Gartenstadt, einem vernachlässigten Vorort. Sie arbeitete bei der Stadt. Auch Fotos von ihr waren angehängt. Sie zeigten eine unscheinbare, mürrisch dreinschauende Person.
Warum wir Frau Hauser in der Simulation brauchten, wusste ich nicht. Sicher hatte sich aber jemand etwas dabei gedacht. Leider fand ich keine Informationen zu ihrer Generierung. Sie wurde dem Traditionellen Milieu zugeordnet, lebte also vermutlich in kleinbürgerlichen Verhältnissen.
Dass TRA1901 einen so ausgefallenen Namen wie Elea trug, lag an der mangelnden Phantasie der Programmierer. Wenn ihnen irgendwann die Ideen ausgingen, benutzten sie einschlägige Namensammlungen oder bedienten sich der griechischen Mythologie, der Bibel oder einem Fachlexikon. So waren Namen von Schauspielern aus dem vergangenen Jahrhundert weit verbreitet, von verstorbenen Politikern und auch von angelsächsischen Romanfiguren.
Alles, was ich über Elea Hauser fand, erschien mir unverdächtig. Nirgendwo ein Hinweis, Blinzle hätte eine geheime Botschaft hinterlegt. Aber vielleicht war die Frau selbst der Geheimnisträger. Dann konnte ich beim Studium ihres Profils und ihrer Verhaltensprotokolle nicht fündig werden. Es blieb mir nichts anderes übrig, als es mit einer Aufschaltung zu versuchen, einer Aufschaltung oder einem Gespräch. Mit Peter Löwitsch musste ich schließlich auch sprechen.
Zwischenzeitlich war es dunkel
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