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Der Simulator

Der Simulator

Titel: Der Simulator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marco Lalli
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der Maître überschwänglich.
    Samantha erschien mir auch an diesem Abend reserviert. Sie schien immer noch bedrückt zu sein, und meine gute Laune änderte daran erst einmal nichts. Doch ich war zuversichtlich, dass die angekündigten Neuigkeiten sie aufheiterten.
    Als Aperitif tranken wir einen Holunderblütensaft, der erstaunlich fruchtig schmeckte. Dazu studierten wir das Speisenangebot. Da ich bereits wusste, was ich bestellen würde, beobachtete ich über meine elektronische Karte hinweg, wie Samantha die umfangreichen Beschreibungen der Gerichte las. Bei jeder einzelnen Zutat stand ein Herkunftsnachweis, was zu einer gewissen Länge führte.
    »Es muss Jahre her sein, dass ich das letzte Mal hier war.« Sie legte die Karte zur Seite und sah sich in der Gaststube um.
    Wenn Blinzle mehr als einmal mit mir hier gewesen war, dann natürlich auch mit seiner Tochter. Daran hatte ich nicht gedacht und ich schalt mich für meinen Mangel an Umsicht. Sie an ihren toten Vater zu erinnern, war sicherlich nicht sonderlich feinfühlig. Doch auf meine Nachfrage hin lächelte sie und beruhigte mich. Es sei schon okay, sagte sie, sie könne nicht jeder Erinnerung aus dem Weg gehen. Im Gegenteil, sie sei froh, dass sie solch schöne Momente mit ihrem Vater erlebt habe.
    Wir waren die einzigen Gäste, was unserem Zusammensein eine fast intime Note verlieh. Die Bedienung hielt sich dezent im Hintergrund und huschte nur heran, um unsere Gläser aufzufüllen, Teller und Besteck zu bringen oder abzuräumen. Dennoch wollte sich nichts Vertrautes zwischen uns einstellen. Die Stimmung blieb düster und schwer wie das schwache Licht der Öllampe auf unserem Tisch und die dunklen Holzmöbel aus dem vorigen Jahrhundert.
    Schon bald war mir nicht mehr nach Feiern zumute. Dennoch erzählte ich ihr ausführlich von den Ereignissen des Tages, von der Pressekonferenz, von Kowalskis Stiftungsplänen, von meiner Rede.
    »Ich bin froh, dass der Simulator zu etwas Sinnvollem nutze ist«, sagte sie nur, »das hätte Vater gefreut.«
    Eigentlich hatte ich vorgehabt, mit ihr über Kowalskis politische Winkelzüge zu sprechen und die Rolle, die ich darin einnahm. Ich brauchte einen Verbündeten, jemanden, der mir half, mich in diesem gefährlichen Fahrwasser zurechtzufinden. Nur zu leicht konnte ich einen Fehler machen und ganz von Trautmann und Konsorten vereinnahmt werden. Ich war mir auch keineswegs sicher, ob ich mich tatsächlich richtig entschieden hatte. Vielleicht bildete ich mir nur ein, die Fäden in der Hand zu halten, während ich schon längst zu Kowalskis Marionette geworden war. Ich brauchte eine kritische Stimme, die über mich wachte.
    Doch Samantha schien weit entfernt. Oder die Geschichten, die ich ihr erzählte, gehörten zu etwas, was sie aus der Ferne betrachtete. An diesem Abend hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, dass wir in unterschiedlichen Welten lebten, dass ihre und meine Welt auseinandertrieben, von Tag zu Tag ein Stückchen mehr, und dass es immer schwieriger wurde, über diese zunehmende Distanz hinweg den anderen zu verstehen, mit dem anderen mitzufühlen. Eine Erkenntnis, die mich sehr schmerzte.
    Aber ich wollte nicht aufgeben, denn so weit weg sie mir erschien, ich hatte ihre Worte nicht vergessen, ihre Sorge um mich, ihr ‚Ich könnte es nicht ertragen, wenn auch dir etwas zustieße.’ Noch immer dachte ich, ich bräuchte sie nur festzuhalten, um sie nicht zu verlieren.
    Ich berichtete ihr von meinem Besuch bei Doc Schmitt, von seiner Theorie der exogenen Depression, die mir geholfen hatte, mich besser zu verstehen, von meiner wundersamen Heilung, durch die sich mein Leben in den vorangegangenen Tagen zum besseren gewandelt hatte. Mir ging es richtig gut, und ich hoffte, sie wäre darauf genauso stolz, wie ich es war.
    Außerdem schien mir Docs Theorie auch ein guter Ansatzpunkt zu sein, das seltsame Verhalten ihres Vaters besser zu verstehen, vielleicht auch die Umstände, die zu seinem Tod geführt hatten.
    Nach einer kräftigen Gemüsesuppe kamen Linsen mit Sauerkraut. Dazu gab es Kartoffelknödel mit gebratenen Zwiebeln. Eine unüberschaubare Anzahl von Aromen, so viele unterschiedliche Geschmäcker, wie ich sie seit Ewigkeiten nicht mehr gekostet hatte. Ich dachte an unser Kantinenessen, an die automatische Küche in meiner kleinen Wohnung, an das Einheitsessen, das so farbenprächtig und wunderbar arrangiert, doch immer gleich schmeckte.
    Eine Weile würdigten wir die Gerichte und wechselten mit dem

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