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Der Simulator

Der Simulator

Titel: Der Simulator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marco Lalli
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abfotografiert.
    Doch was bedeutete sie? Dass Bewegung nur Illusion ist, hatte der Doc gesagt. War es das, was Blinzle mir damit hatte sagen wollen? Denn, dass die Zeichnung eine Nachricht an mich gewesen war, davon war ich nach wie vor überzeugt.
    Ich stellte mir Achilles vor, der der Schildkröte hinterherläuft. Immer kleiner werdende Abstände, der unendliche Regress. Plötzlich musste ich an die russischen Matrjoschka-Puppen denken. Man öffnete die Holzpuppe und fand eine kleinere Puppe darin vor. Wenn man auch diese aufschraubte, kam eine weitere, kleinere Puppe zum Vorschein. So ging es immer weiter, nicht unendlich lang – aber lang genug, dass man fast meinte, es hörte nicht auf.
    »Was wäre, wenn unsere Reaktionseinheiten auf die Idee kämen, einen eigenen Simulator zu bauen?« hatte Blinzle einmal halb im Scherz gefragt. Die Puppe in der Puppe. Und wenn die im Simulator simulierten Einheiten ihrerseits einen weiteren Simulator bauten, dann ginge es einen Schritt weiter. Die nächste Puppe in der Puppe.
    Natürlich würden wir niemals zulassen, dass der Simulator Simulatoren simulierte. Die Folgen wären unabsehbar. Das Geschehen entzöge sich mehr und mehr unserer Kontrolle. Schließlich wollten wir beobachten, was unsere Reaktionseinheiten taten. Es war uns nicht damit gedient, wenn sie stattdessen ihr Verhalten nur simulierten.
    Doch welche Möglichkeiten hätten wir tatsächlich, den Bau eines solchen, kleineren Simulators zu verhindern? Wir konnten ihn sabotieren, Mitarbeiter umprogrammieren, notfalls löschen. Sollte das nicht reichen, bliebe uns nur noch die Abschaltung der ganzen Anlage und der Neustart. Die Ultima Ratio natürlich, denn die Konsequenzen wären unabsehbar. Immense Kosten, verlorene Monate, wenn nicht Jahre.
    Mir schwirrte der Kopf. Die Vorstellung einer verschachtelten simulierten Wirklichkeit hatte etwas Verwirrendes, Beunruhigendes. Man begab sich auf unsicheren Boden, auf schwankenden Boden. Mein Schwindel fiel mir dazu ein. Alles passte auf seltsame Weise zusammen.
    War es das, was Blinzle mir hatte mitteilen wollen? Dann ging es gar nicht um die Illusion der Bewegung − und wenn, dann nur am Rande. Denn natürlich kam man auch bei den Babuschkas keinen Schritt vorwärts, so viele Puppen man auch öffnete.
    Dass unsere Rea ktionseinheiten einen Simulator bauten oder auch nur planten, einen solchen zu bauen, konnte ich ausschließen. Das wäre mir kaum entgangen. Doch natürlich wusste ich nicht, was in jedem einzelnen Kopf vor sich ging. In Elea Hausers Kopf beispielsweise. Ich musste mir ihre Akte noch einmal vornehmen, vielleicht hatte ich etwas übersehen.
    Hausers Akte war noch da. Wieder eine dieser Selbstverständlichkeiten, die mich dennoch beruhigten. So weit war es mit mir gekommen!
    Ich scrollte durch die Datei, zeigte auf den einen oder anderen Hyperlink, der mich auf eine Ergänzungsseite oder ein anderes Dokument brachte. Es war noch nicht allzu lange her, dass ich eben diese Akte genauestens studiert hatte. Kaum anzunehmen, ich hätte etwas übersehen.
    Elea Hauser hatte bei der Stadtverwaltung gearbeitet. Das wusste ich bereits. Welcher genauen Tätigkeit sie nachgegangen war, konnte ich aber nirgends finden. Sie wurde als Datenbankspezialistin und Datenarchivarin geführt. Aber das besagte wenig, handelte es sich hierbei doch um sehr allgemeine Tätigkeitsbezeichnungen.
    In einer Fußnote fand ich schließlich den entscheidenden Hinweis. Sie war auch Restauratorin gewesen. Spezialgebiet organische Druckmedien. So fiel mir die ganze Geschichte wieder ein.
    Als hoffnungsloser Nostalgiker hatte Blinzle Bücher geliebt. Richtige Bücher, die aus Papier bestanden, aus Pappe, aus Pergament, aus irgendetwas, was sich anfassen ließ. Bücher, auf deren Oberseite sich der Staub absetzte und deren Papier vergilbte. Bücher, die knirschten, wenn man sie aufschlug und deren Seiten beim Umblättern raschelten. Er mochte den Geruch der Jahre, den sie verströmten, und das Raue des Papiers, das die Fingerkuppen kitzelte.
    Natürlich gab es solche Bücher kaum noch. Ein materielles Buch war so teuer, dass sich eine Auflage nur für besondere Anlässe lohnte. Handverlesene Exemplare für einen kleinen, illustren Kreis. Und die wenigen, antiquarischen Bücher, die es noch gab, wurden auf den elektronischen Börsen zu Liebhaberpreisen gehandelt. Manch reicher Sammler hatte sich im Laufe der Jahre eine kleine Bibliothek ersteigert.
    Nun hatte Blinzle weder die Zeit noch das

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