Der Simulator
leicht.
»Summa cum laude, wenn ich das anmerken darf.«
Weiß der Teufel, wie er das geschafft hatte. Vielleicht hatte ihn die Fakultät am Ende nur noch loswerden wollen. »Und ich dachte, es gäbe ein Verfahren wegen Datenfälschung und Datenmanipulation.« Ich selbst war dazu angehört worden, wenn auch nur auf fernmündlichem Wege.
»Es hat sich alles als Missverständnis herausgestellt.«
Missverständnis? Ralf Fassbender hatte jahrelang jeden halbwegs ergiebigen Gedanken von Studenten und Kollegen als seinen eigenen ausgegeben und seine empirischen Arbeiten so frisiert, dass die Daten zu leuchtenden Beweisen seiner Theorien wurden. Wenn er über eine Kunstfertigkeit verfügte, dann war es diese gewesen. Doch dafür gab es keinen Doktortitel.
Obwohl einige Jahre jünger als ich, war Ralf Fassbender ebenfalls Blinzles Assistent am Lehrstuhl für Simulatorik der Universität Heidelberg gewesen. Am Anfang von ihm durchaus geschätzt, hatte er sich bald als skrupelloser Karrierist erwiesen, eine neue Generation zielstrebiger Studenten, die nur ihr eigenes Fortkommen verfolgten und mit dem Ehrenkodex von Wissenschaft und Uni nichts im Sinn hatten. Als Blinzle das erkannte, war es bereits zu spät gewesen. Ralf hatte einen Fünfjahresvertrag, an dem niemand rütteln konnte. Und jetzt stand er hier vor mir, leibhaftig und als mein eigener Assistent. Man konnte nicht sagen, dass dieser Tag gut anfing.
Kowalski hatte unseren kurzen Wortwechsel lächelnd verfolgt. »Ich sehe, Sie verstehen sich blendend. Die liebgewonnenen Neckereien aus Studententagen! Manchmal vermisse ich die alten Zeiten.« Er umfasste Ralfs Oberarm. »Ich möchte, dass Sie sich so schnell wie möglich einarbeiten. Marc kann jede Hand gebrauchen. Wir stehen enorm unter Druck.« Dann wandte er sich zu mir. »Und Sie, Marc, Sie geben ihm jede erdenkliche Hilfe. Ich hoffe, wir haben uns verstanden!« Er zog meinen neuen Assistenten mit sich. »Und jetzt, Ralf, zeige ich Ihnen mein Baby.« Zu mir sagte er: »Wir fahren zum Simulator. Machen Sie sich in der Zwischenzeit frisch. Sie sehen furchtbar aus.«
Lange dachte ich über meinen überraschenden Besuch nach, über Ralf Fassbender, den ich in die hinterste Ecke meines Gedächtnisses verbannt hatte und mit dem ich mich jetzt nach jahrelanger Pause erneut Tag für Tag herumquälen würde. Plötzlich wusste ich, dass meine Tage bei Sinex gezählt waren. Wenn ich nicht freiwillig ging, würde mich Kowalski einfach durch meinen neuen Assistenten ersetzen.
Dann meldete sich das Videofon erneut, und es war tatsächlich Samantha. Ungläubig starrte ich sie an.
»Hallo, Marc«, sie wirkte ausgeruht, sie lächelte, strahlte geradezu. Warm sah sie mich aus ihren riesigen Pupillen an, »ich wollte dich so bald wie möglich sprechen und mich...«, sie stockte, »für gestern Abend entschuldigen. Weißt du, ich war...«
»Wo warst du«, unterbrach ich sie.
»Wie meinst du das?« fragte sie sichtlich verwirrt.
»Wo warst du heute Nacht?« Ich klang wie ein eifersüchtiger Ehemann, was mir gar nicht gefiel. Aber ich musste wissen, was in dieser Nacht vorgefallen war.
»Zuhause, ich habe geschlafen. Wunderbar geschlagen übrigens, denn ich fühle mich heute wie neu geboren.«
»Du warst nicht zu Hause. Ich habe in jedem Zimmer nachgesehen.«
»Du warst im Haus?«
»Ja, ich bin durch die Terrassentür reingekommen. Ich habe einen Schlüssel.«
»Warum in aller Welt hast du das getan?«
»Ich wollte nach dir schauen. Ich habe mir Sorgen gemacht.«
»Sorgen?«
»Du warst so merkwürdig gestern Abend, die ganzen letzten Tage eigentlich. So abweisend, kalt. Und dann bist du plötzlich hinein, hast mich wie ein Idiot draußen stehen lassen...«
»Ich weiß, Marc, es tut mir leid.«
Ihre Verwandlung machte mich misstrauisch. Obwohl sie jetzt so war, wie ich sie mir immer gewünscht hatte, vermochte ich nicht, auf sie einzugehen. Und ich glaubte ihr nicht. Ich hatte das Haus vom Keller bis zum Dach durchsucht, jeden Winkel, jeden Schrank. Ausgeschlossen, ich hätte sie übersehen.
»Ich war todmüde, Marc. Ich bin sofort eingeschlafen. Nicht in meinem Bett, sondern unten auf dem Gästesofa.«
»Da habe ich ebenfalls nachgesehen.«
»Dann hast du mich übersehen.«
»Ich hätte dich sehen müssen.«
»Es war dunkel.«
Ich schwieg. Das alles ergab keinen Sinn, und es brachte auch nichts, mit ihr darüber zu diskutieren.
»Marc, glaube mir, es war nichts, es ist nichts. Oder nein, es ist wieder alles
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