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Der Sixtinische Himmel

Der Sixtinische Himmel

Titel: Der Sixtinische Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon Morell
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Brüder, die sich wie Blutegel in ihn verbissen hatten, weniger geizig und missgünstig werden müssen. In seiner, Aurelios, Familie war immer alles geteilt worden. Und am Ende war es immer genug gewesen. Aber es hatte eben auch jeder seinen Teil dazu beigetragen.
    Nachdem sie letztes Jahr so mühsam Giovan Simone wieder losgeworden waren, der sich bei seinem Aufenthalt wie ein osmanischer Pascha aufgeführt hatte, hatten erst Buonarroto und dann Michelangelos jüngster Bruder Sigismondo angekündigt, nach Rom kommen zu wollen, um sich durch ihn eine Stelle verschaffen zu lassen. Buonarroto, den vernünftigsten von ihnen, hatte Michelangelo nach vielen Briefen endlich davon überzeugen können, sein Vorhaben wenigstens vorläufig aufzugeben. Sigismondo allerdings, der zwar weniger unverschämt war als Giovan Simone, dafür aber ebenso faul, schien wild entschlossen zu sein.
    Immerhin war Michelangelo diesen Winter über seinen Familienkummer nicht krank geworden. Dafür hatte sich ein anderes Leiden eingestellt. Das Fresko hatte gute Fortschritte gemacht, durch die monatelange Arbeit mit nach hinten gebeugtem Rücken und einem unablässig verrenkten Hals jedoch hatte sich bei Michelangelo eine Sehstörung manifestiert: Seit einiger Zeit konnte er nur noch klar erkennen, was sich über seinem Kopf befand. Um beispielsweise einen Brief zu lesen, musste er ihn mit ausgestreckten Armen nach oben halten, und beim Anfertigen von Skizzen nahm er das Kinn auf die Brust und beugte sich so weit vor, dass seine Nase praktisch das Papier berührte. Manchmal geriet er darüber in rasenden Zorn, bei anderer Gelegenheit machte er sich über sich selbst lustig. In letzter Zeit hatte sich sein Zustand wieder etwas gebessert, doch sie hatten auch seit zwei Monaten das Gerüst in der Kapelle nicht mehr betreten.
    Kurz vor dem Jahreswechsel war es so kalt geworden, dass sich der Intonaco nicht mehr hatte verarbeiten lassen. Die Herstellung hatte Aurelio noch erzwingen können, indem er das Wasser künstlich erwärmte, doch spätestens beim Auftragen der Paste auf die Decke hatte der Putz ein Eigenleben entwickelt, das jeden Farbauftrag unmöglich machte. Sie waren nicht die einzigen Leidtragenden. Sogar der Gesang der päpstlichen Kapelle, der die Sistina regelmäßig mit göttlicher Versenkung erfüllte, erstarrte in der eisigen Luft. Statt wohlklingender Töne stießen die Sänger unter Krächzen weiße Dampfwolken aus, was von oben ziemlich lustig aussah.
    Julius hatte sich angesichts der Arbeitsverzögerung weniger erbost gezeigt, als zu erwarten gewesen war. Natürlich hatte er nicht wahrhaben wollen, wie äußere Umstände dafür verantwortlich sein konnten, dass man nicht in der Lage war, eine Wand zu bemalen. Seit Bramante ihm die Pläne für den neuen Petersdom vorgelegt hatte, schien er überzeugt davon, dass man sogar den Lauf der Sonne beeinflussen konnte, sofern man sich nur genug anstrengte. Dennoch hatte er es bei einigen Ermahnungen belassen, da er, wie stets, sehr damit beschäftigt war, Krieg zu führen. Sofern er nicht gerade in einen verwickelt wurde, brach er selbst einen vom Zaun. Ohne das Klirren von Schwertern und das Rasseln von Rüstungen in den Ohren schien er sich unvollständig zu fühlen. Jedenfalls verstrich kein Tag, ohne dass er sich dem Gedanken an einen möglichen bewaffneten Konflikt hingegeben hätte wie andere dem Liebesakt. Das Gefühl ständiger Bedrohung erregte ihn. Glücklicherweise musste er sich kaum darum sorgen, dass ihm die Konflikte ausgehen könnten, schließlich gab es neben Ludwig, der wie ein Damoklesschwert über Italien schwebte, noch die Venezianer, die, solange sie noch ein Dutzend halbwegs aufrecht stehender Männer zusammenbrächten, keine Ruhe geben würden.
    Noch bevor die Republik Venedig die Niederlage bei Agnadello richtig verdaut hatte, war ihr territorialer Hunger bereits wieder so groß gewesen, dass sie sich Mantua und Padua einverleibt, ihren Blick nach Ferrara gerichtet und sich dabei gierig die Lippen geleckt hatte. Ende des Jahres war es dann so weit gewesen: Im peitschenden Dezemberregen steuerten die Venezianer ihre Galeeren den Po flussaufwärts. Julius schäumte angesichts solcher Vermessenheit. Doch er sollte seine Genugtuung bekommen. Die Venezianer hatten ihre Rechnung ohne den Regenten von Ferrara gemacht, den knurrigen Alfonso d’Este, Kommandeur der päpstlichen Truppen in der Liga von Cambrai und für nichts auf der Welt mehr zu begeistern als für seine

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