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Der Sixtinische Himmel

Der Sixtinische Himmel

Titel: Der Sixtinische Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon Morell
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Es ist …« Aurelio japste nach Luft. Sein Herz schlug in Panik gegen die Brust.
    Er musste aus diesem Bett heraus, augenblicklich. Fluchtartig warf er die Beine über den Rand, entstieg dem Bett und ging nervös im Zimmer auf und ab. Sein Herzrasen ließ nach. Schließlich kam es so weit zur Ruhe, dass er wenigstens stehenbleiben konnte.
    Margherita hatte sich auf die Seite gedreht, den Ellenbogen aufgestützt, ein Bein aufgestellt, das andere angewinkelt. Ein Jahr zuvor hatte sie mit dieser herausfordernden Haltung noch blinde Gier in ihm entfacht. Ihre Scham glänzte wie schwarzes Moos. Aurelio wusste, dass es sinnlos wäre, Margherita etwas vorzuspielen. Nichts war ihr vertrauter als die Sprache des Mannes. Dennoch versuchte er es. Schließlich war diese Stadt eine einzige große Lüge – und jeder schien das normal zu finden.
    »Zu viel Arbeit«, entschuldigte er sich, hob seine Hosen vom Boden auf und drehte sie von links auf rechts.
    Margherita antwortete nicht. Misstrauisch verfolgte sie jede seiner Bewegungen. Nachdem er sich angezogen hatte, stand Aurelio unschlüssig vor ihrem Bett. Margherita rührte sich nicht. Sie wartete auf das, was er tun würde.
    Aurelio sagte, was offensichtlich war: »Ich gehe jetzt.«
    »Du gehörst mir«, antwortete Margherita. »Vergiss das nicht.«
    * * *
    Aurelios Fuß war eingeschlafen. Das Kribbeln arbeitete sich langsam den Unterschenkel hinauf. Noch immer saß er auf dem Marmorblock. Der Hund zu seinen Füßen war ebenfalls eingeschlafen. Über dem Gianicolo war der Mond aufgezogen und ließ die Umrisse des Klosters und der Kirche hervortreten. Die Luft selbst schien von einem fernen Leuchten erfüllt, unfassbar wie ein Traum. Die nahezu hundert Marmorblöcke, eigentlich schwer genug, um das Pantheon zum Einsturz zu bringen, hatten all ihr Gewicht abgestreift und wirkten in dem diffusen Licht, als könnten sie sich jederzeit vom Boden lösen und lautlos zum Himmel aufsteigen.
    Aurelio betrachtete den lehmigen Platz, der sich in stumpfem Glanz um ihn herum ausbreitete. Bald würde der Regen ihn wieder in eine riesige Schlammgrube verwandeln, in der die Karren feststecken und die Pferde bis zu den Knien einsinken würden. Aus drei Gassen zugleich wallte der Nebel auf den Platz und schloss ihn langsam ein. Er sollte gehen, sich in sein Bett legen und schlafen. Morgen wartete ein langer Tag in der Kapelle auf ihn. Und Antworten würde er auf diesem Platz kaum finden, jedenfalls nicht heute. Worauf auch? Was gab es schon für Fragen? Aphrodite hatte ihre teuflischen Zähne in sein Herz geschlagen und ihm ihr paradiesisches Gift eingespritzt. Darauf gab es keine Antwort.
    Plötzlich vernahm Aurelio das Schlagen von herannahenden Hufen. Noch während er versuchte, die Richtung zu bestimmen, brach ein schwarzes, reiterloses Pferd durch den Nebel und sprengte auf den Platz. Eine Silberdecke aus Mondlicht über den Rücken gebreitet, galoppierte es in wilder Hast an Aurelio und den Marmorblöcken vorbei und tauchte in Richtung Engelsburg wieder in den Nebel ein. Kurz darauf verklang das Klappern der Hufe. Aurelio erwartete, einen abgeworfenen Reiter aus dem Nebel treten zu sehen, doch es geschah nichts. Die sich ausbreitende Stille war vollkommen.
    Endlich gelang es ihm, sich zu erheben und den Schlaf aus seinem Bein zu schütteln. Der Hund regte sich nicht. Er würde irgendwann aufwachen und keine Erinnerung mehr daran haben, dass er neben jemandem eingeschlafen war. Aurelio richtete einen letzten Blick zurück auf die schwerelos gewordenen Marmorquader.
    Der Schauer durchfuhr ihn, noch ehe er begriff, was der Auslöser dafür war. Ein Erstaunen, das wie ein eisiges Rinnsal sein Rückgrat hinablief. Jetzt wusste er, warum ihm der Platz vorhin verändert erschienen war: Der Marmorblock für die Julius-Statue, die Säule von fünf Ellen Länge, der Block, den Michelangelo eigenhändig aus dem Berg gebrochen hatte, neben dem er geschlafen und den er im aufgehenden Sonnenlicht auf mögliche Adern untersucht, den er berochen und in den er hineingehorcht hatte – er war verschwunden. Aurelio stieß einen unbestimmten Laut aus. Der fehlende Block konnte nur eines bedeuten: Sein Meister musste die Arbeit an der Statue aufgenommen haben. Irgendwo an einem geheimen Ort in dieser Stadt hatte er damit begonnen, Aphrodite aus einem makellosen Marmorblock zu befreien. Und er hatte für sein Vorhaben den Stein ausgewählt, den er ursprünglich für die zentrale Figur des Julius-Grabmals

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