Der Sixtinische Himmel
tatsächlich zur Ausführung bringen?«
»Mit zwölf Aposteln komme ich nicht weit.« Michelangelo kam zum Tisch herüber. »Nicht, wenn dieses Fresko auch nur annähernd die Wirkung erzielen soll, die ich anstrebe.«
»Warum macht Ihr nicht einfach, was der Papst von Euch verlangt – nur besser als Pinturicchio und Raffael?«
»Zum einen, weil Julius’ Pläne vor allem geeignet sind, mich zum Einschlafen zu bringen, zum anderen, weil er und Bramante eine Wette auf mich abgeschlossen haben. Rosselli hat es mir in einem Brief geschrieben. Er war dabei, als Bramante Julius versichert hat, dass ich« – er spuckte die folgenden Worte förmlich aus – »weder die Kraft noch den Mut , noch das Feuer besäße, diesen Auftrag auszuführen! Er ist sicher, dass ich der Aufgabe nicht gewachsen bin, und glaubt, meinen Ruf als Künstler für immer zerstören zu können. Ich frage dich, Aurelio: Was weiß jemand, der Leidenschaft bestenfalls aus Büchern kennt, schon von Feuer!« Seine Schultern spannten sich wie die einer Katze. »Alleine aus diesem Grund also bin ich gezwungen, Julius nicht irgendein Fresko an die Decke zu pinseln, wie es jeder andere auch könnte, sondern …« Seine Gedanken verloren sich, während er zur Decke blickte und das imaginierte Gewölbe der Sistina in Felder einteilte.
»Ja, Maestro?«
Michelangelo ging im Zimmer umher, als schreite er die Wände der Kapelle ab. Zu gerne hätte Aurelio gesehen, was sein Meister dort sah. »Wenn Gott gewollt hätte, dass ich Mittelmäßiges schaffe, Aurelio, hätte er mir nicht diese Fähigkeiten gegeben. Folglich …« Er drehte sich um die eigene Achse und verfolgte den Weg des einfallenden Lichts. Schließlich sah er seinem Gehilfen offen ins Gesicht. »Ich werde das großartigste Fresko aller Zeiten erschaffen.« Es war eine Feststellung. Kein Versprechen, kein Bekenntnis – eine Feststellung, unverrückbar, in Stein gemeißelt. »Was bleibt mir anderes übrig?«
Die Einsicht in die Unausweichlichkeit dieser Entscheidung schien Michelangelo traurig zu stimmen. Da war kein triumphales Leuchten in seinen Augen, kein Stolz auf den kommenden Sieg, den er über Bramante und Raffael erringen zu können glaubte. Nur das Bewusstsein um die endlosen Mühen, die ihm der Weg bis dahin bereiten würde.
* * *
Aurelio fegte den Boden des Ateliers und atmete den süßen Duft der Feigenblüten ein, als er bemerkte, dass Michelangelo nicht länger in seinem Zimmer Briefe schrieb, sondern in der Tür stand und seinem Gehilfen bei der Arbeit zusah. Aurelio hielt inne.
»Stell den Besen weg«, sagte Michelangelo, »wir gehen dir ein neues Hemd kaufen. In diesem siehst du nicht aus wie der Gehilfe eines Künstlers, sondern wie … der Gehilfe eines Gehilfen.«
Aurelio sah an sich herunter und blickte dann seinen Meister an. Dessen Hemd war in einem deutlich beklagenswerteren Zustand als sein eigenes. An den Ellenbogen und den Schultern war der Stoff beinahe durchgewetzt, und der Halsausschnitt war gleich an mehreren Stellen aufgerieben.
»Was ist mit Euch?«, fragte er.
»Sieh mich an«, antwortete Michelangelo und breitete die Arme aus wie ein Sünder. »Was sollte ich mit einem neuen Hemd anfangen? Ich bin hässlich, Aurelio. Schon bevor Torrigiani mir die Nase zertrümmerte, war ich kein schöner Anblick, und seither ist es nicht besser geworden.« Er senkte den Blick. »Meine Hässlichkeit verdient kein schönes Hemd, Aurelio. Du dagegen … du solltest wirklich nicht so auf die Straße gehen.«
Seinen Meister derart verwundbar zu erleben beschämte Aurelio. »Wer ist Torrigiani?«, fragte er.
»Ein Bildhauer …« Michelangelos Blick wandte sich nach innen und verlor sich in der Vergangenheit. »Mit ihm zusammen habe ich in Florenz den Umgang mit Hammer und Meißel erlernt. Er war alles, was ich nicht war: wohlhabend, schön, gebildet, von athletischem Körperbau … Er war ebenso ehrgeizig wie ich, doch sein Vermögen war … mittelmäßig. Und das ließ ich ihn spüren. Obgleich er drei Jahre älter war als ich. Also ließ er mich irgendwann seine Faust spüren.« Michelangelo strich mit dem Mittelfinger seinen gezackten Nasenrücken entlang. »Die Wahrheit ist: Ich selbst trage die Schuld an meinem entstellten Gesicht, Aurelio. Es war Hochmut, der aus mir sprach. Ich bildete mir ein, wertvoller zu sein als Torrigiani – weil ich über das größere Vermögen verfügte.«
Aurelio schwieg. Er rief sich in Erinnerung, wie Michelangelo über
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