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Der Sixtinische Himmel

Der Sixtinische Himmel

Titel: Der Sixtinische Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon Morell
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Raffael und Bramante gesprochen hatte. War das nicht ebenso hochmütig gewesen?
    »Ich spreche von mir als Mensch«, erklärte Michelangelo, »nicht als Künstler. Ich glaubte, der wertvollere Mensch zu sein. Dabei bin ich als Mensch ein armer Sünder, den verderbte Gedanken plagen, der mit Eitelkeit geschlagen ist und die Folgen seines Hochmuts im Gesicht trägt. Eine bemitleidenswerte Kreatur.« Er richtete sich auf, als wolle er eine Bürde abschütteln. Auf dem Grund seiner Augen glomm wieder ein kämpferischer Funke. »Als Künstler allerdings bin ich nur Gott Rechenschaft schuldig!«
    * * *
    Sie gingen zur Engelsburg hinunter, die mit jedem Schritt größer und mächtiger wurde, bis sie schließlich wie eine göttliche Drohung vor ihnen aufragte. Das Gespräch mit Aurelio schien Michelangelo erleichtert zu haben. Jedenfalls präsentierte er sich trotz seiner vom Vortag heiseren Stimme erneut ungewöhnlich redefreudig. Während sie im Getümmel von Händlern, Pilgern, Bettlern, Ablassverkäufern und Maultieren über den Ponte Sant’ Angelo geschoben wurden, rief Michelangelo seinem Gehilfen zu, dass die auf drei Bögen ruhende Brücke lange Zeit als die schönste der Welt gegolten hatte. Auf der anderen Seite angekommen, deutete er zur Ripetta hinüber, dem Flusshafen, vor dem sich ein Knäuel aus Booten im Wasser drängte. Die kunstvolle Uferbefestigung und die symmetrisch angelegte Freitreppe leuchteten in der Sonne.
    »Alles Travertin«, erklärte Michelangelo. »War mal ein Teil des Kolosseums, bis die Blöcke beim Erdbeben von dreizehnneunundvierzig aus der Fassade gefallen sind. Es gibt keine Stelle, an der mehr Leichen in den Tiber geworfen werden als dort.« Er breitete die Arme aus: »Das ist Rom. Die Stadt nährt sich von ihrer Vergangenheit und leidet an ihrer Gegenwart.«
    Er führte Aurelio in ein Labyrinth aus Straßen, das ähnlich verwinkelt und eng war wie das des Borgo. Als am Ende einer Gasse plötzlich die weißglänzende Fassade einer offenbar neuerbauten Kirche aufblitzte, ließ Michelangelo nur ein Schnaufen hören. Im Vorbeigehen bestaunte Aurelio die neuartige Wölbung der Fassade.
    »Papst Sixtus hat sie erbauen lassen«, erklärte Michelangelo, »als Dank für die Unterstützung im Krieg gegen meine Heimatstadt. Der Kreuzgang ist übrigens ebenso schön wie die Fassade.«
    Aurelio ahnte, was das bedeutete: »Bramante.«
    »Seine erste größere Arbeit in Rom.«
    Doch nicht einmal das konnte Michelangelos Gemütsverfassung trüben. Beinahe beschwingt schritt er voran durch einen von zahlreichen Arkadenbögen, und noch ehe Aurelio Gelegenheit hatte, sich zu fragen, was für ein merkwürdiges Gebäude sie zu betreten im Begriff waren, füllte sich die Luft mit zahllosen Stimmen und Gerüchen. Vor ihnen tat sich ein riesiger, langgestreckter Platz auf, der von gemauerten Tribünen eingefasst war.
    Aurelio blieb stehen, als drohe er beim nächsten Schritt in die Tiefe zu stürzen. »Was ist das?«, fragte er.
    »Der Circus Agonalis.« Michelangelo lächelte sein schiefes Lächeln. »Auch wenn kaum noch Wagenrennen stattfinden, seit Sixtus den Markt vom Kapitol hierher hat verlegen lassen.« Mit einer Geste fing er den Platz mit seinen Buden, Ständen und den vielen Menschen ein. »Hier findest du alles: ob Schnallen für die Schuhe oder Henna für die Haare. Und da drüben«, er deutete auf die gegenüberliegende Seite, wo sich oberhalb der Tribüne gestreifte Markisen vor den Geschäften spannten, »befinden sich die besten Schneider Roms. Das jedenfalls behauptet Kardinal Alidosi, und der sollte es wissen.«
    Sie wurden von einem halb mitleidig, halb amüsiert blickenden Verkäufer empfangen. Ein kleinwüchsiger Mohr ging von Kunde zu Kunde und bot auf einem Silbertablett gezuckertes Gebäck dar. Aurelio fühlte sich wie der, der er war: der Sohn eines Provinzbauern auf der Bühne der Eitelkeiten des römischen Adels.
    »Was?«, fuhr Michelangelo den Verkäufer an.
    Die überheblich lächelnden Mundwinkel fanden augenblicklich in ihre Ausgangsposition zurück.
    Michelangelo ließ sich nicht weniger als vierzehn verschiedene Hemden vorlegen, bevor er für Aurelio zwei davon auswählte. Zudem erstand er eine dieser eleganten Strumpfhosen, wie sie von Männern bevorzugt wurden, die ihre gehobene Stellung zur Schau stellen wollten. Widerstrebend streifte Aurelio sie über. Plötzlich sahen seine Bauernschuhe plump aus – die Schuhe eines Tölpels. Auch entging ihm nicht, dass der

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