Der Sixtinische Himmel
Verkäufer angesichts dieser Schuhe, die bis heute Morgen Aurelios kostbarsten Besitz dargestellt hatten, die Nase rümpfte. Als sie endlich das Geschäft verließen, atmete er auf.
* * *
Sie standen auf der Tribüne, zu ihren Füßen eine Gruppe Focaccine essender Wollfärber, als der Platz von einem zunächst ungreifbaren Ereignis erfasst wurde. Es war, als verfinstere sich die Sonne und ein plötzlicher Schatten ziehe über das Stadion. Doch es war kein Schatten. Es war ein Schweigen. Vom Südtor ausgehend, schlug es eine Schneise durch die Gasse aus Verkaufsständen und breitete sich von dort über den gesamten Platz aus. Innerhalb weniger Augenblicke verstummten die Rufe der Händler, eine Gruppe von Gauklern, die mit den Besuchern ihre Späße trieb, unterbrach ihre Darbietung, ein sich lauthals beschimpfendes Paar legte bis auf weiteres seinen Streit bei.
Aurelio spürte das Schweigen auf sich zurollen wie eine Woge. Erst durchbrach das helle Klappern frisch beschlagener Hufe die Stille, dann erblickte er zwei Schimmel, die aus einer Ladenstraße kamen. Sie zogen eine weiße, geschlossene Kutsche, die in verschwenderischer Pracht mit Goldbeschlägen versehen war. Sogar die Speichen der Räder waren mit Goldreifen verziert, und die Ohren der Pferde wurden von goldbestickten Mützen bedeckt.
»Wende dich ab«, zischte Michelangelo seinem Gehilfen zu, doch der hörte nur die Worte Margheritas, die sie ihm im »La Cicogna« zugeflüstert und die er zwischenzeitlich vergessen hatte. Es gab sie also wirklich: die Kurtisane des Papstes.
»Aphrodi-«, setzte er an, doch bevor er den Namen vollständig aussprechen konnte, hatte sein Meister ihm bereits einen Ellenbogen in die Rippen gestoßen und ihn von der Gruppe der Wollfärber weg in eine Nische gedrängt. Dort drückte er ihn gegen eine Mauer. Es roch nach Katzenpisse.
»Woher …« Michelangelos Blick wäre geeignet gewesen, die Tribüne zum Einsturz zu bringen. »Wie kannst du überhaupt von ihr wissen?«
»Ich …«
»Schweig! Niemand – niemand, hörst du – führt ihren Namen im Mund.« Er sah sich um und senkte seine Stimme zu einem eindringlichen Flüstern. »In dieser Stadt gibt es keine Straßenkreuzung, an der nicht einer von Julius’ Spionen herumlungern würde! Verstehst du, was ich sage, Aurelio? Aus jedem Waschzuber werden ihm die Neuigkeiten zugetragen.«
Aurelio bekam eine Gänsehaut.
»Wenn du weißt, wie man sie nennt«, fuhr Michelangelo fort, »dann weißt du auch, was demjenigen droht, der ihren Namen ausspricht.«
»Die Zunge …« Weiter kam Aurelio nicht.
Michelangelo ließ ihn los. »Du wärst nicht der Erste.« Seine Nase stieß ihr gewohntes Zischen aus. »Allmächtiger«, murmelte er noch, dann hob er die Hemden auf, die in der Aufregung heruntergefallen waren. »Komm jetzt«, raunte er.
Sie traten zur rechten Zeit aus der Nische, um zu verfolgen, wie die Kutsche vor der Tribüne hielt. Wer in ihrer Nähe stand, wandte sich ab, wer sich in sicherer Entfernung glaubte, verfolgte unauffällig das Geschehen. Aurelios Blick war wie gebannt. Die Kutsche öffnete sich, und ihr entstiegen zwei verschleierte, weiß gewandete Frauen. Die erste trug eine Anzahl bestickter Seidentücher auf den vorgestreckten Händen, die von der zweiten, eins nach dem anderen, auf den Boden gelegt wurden, bis schließlich eine Spur aus Tüchern zum Geschäft eines Goldschmieds führte. Erneut öffnete sich die Kabine. Das gesamte Stadion hielt den Atem an.
Aphrodite wandelte auf den Tüchern, wie Jesus auf dem Wasser gewandelt sein musste. Es war die bestickte Seide, die sie trug, nicht der Boden. Aurelio kam es vor, als balanciere sie auf dem Grat, der die menschliche Welt von der göttlichen trennt. Ihr Gazeschleier reichte bis zum Boden und diente ihr gleichzeitig als Gewand, das sie mit einer Goldkette um die Taille gegürtet trug. Es ließ alles erahnen, doch wirklich erkennen konnte Aurelio nichts. Margherita hatte recht gehabt: Selbst Aphrodites Hände und Unterarme waren in golddurchwirkten Handschuhen verborgen. Nirgends war ein Stück ihrer Haut zu sehen. Ihre Brüste zeichneten sich zart durch Stoff ab, und beim Gehen bildete sich eine Falte, die in aufreizender Weise ihre Scham betonte. So schwebte sie gleichsam auf den Tüchern die Stufen empor, wobei sie ihr Gewand eine Handbreit raffte, so dass die Rundung ihrer Pobacken hervortrat.
Die Tür des Goldschmieds öffnete sich, und Aphrodite glitt hindurch, gefolgt von ihren
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