Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Sixtinische Himmel

Der Sixtinische Himmel

Titel: Der Sixtinische Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon Morell
Vom Netzwerk:
der Raum mit dem Duft von gebratenem Fleisch, Zwiebeln und Knoblauch. »Wie stark sind die Mauern da oben?«
    »Sehr stark.«
    »Stark genug, um Sorgozzoni zu tragen?«
    Michelangelo griff sich eine der Skizzen. »Sorgozzoni …« Er sprang auf und lief aus der Küche. »Ich wusste, mit dir würde es gehen!«, rief er aus dem Atelier.
    Über den Topf hinweg zwinkerte Rosselli Aurelio zu: »Er ist wie dieses Gerüst, das ich ihm bauen soll: schwierig, aber nicht unmöglich.«
    Sie lachten. Auch Aurelio spürte jetzt die Erleichterung, die er am Nachmittag bei Michelangelo beobachtet hatte. Piero war so jemand. Ohne dass es ihn sichtbare Anstrengung kostete, machte er das Leben ein bisschen leichter.
    * * *
    Auch Rosselli würde in diesem Haus wohnen, ebenso wie die anderen, die noch kommen sollten: Granacci, von dem Michelangelo sprach, als könne das Fresko ohne ihn nicht ausgeführt werden, dazu einer, den sie Aristotile nannten, ein gewisser Giuliano, ein Agnolo und schließlich war noch ein Jacopo del Tedesco im Gespräch, wenngleich Granacci nicht sicher war, ob er ihn für das Vorhaben würde gewinnen können. Sie alle schienen erfahrene Freskanten zu sein und würden eine Bottega bilden, eine Familie, gemeinsam leben und arbeiten, in diesem Haus. Und Aurelio wäre einer von ihnen.
    Michelangelo und Piero hatten ein halbes Dutzend Kerzen entzündet, standen über den großen Tisch gebeugt und diskutierten die Probleme, die eine auf Sorgozzoni ruhende Bühne mit sich bringen würde. Sie hatten unverdünnten Wein getrunken, etwas, das für Aurelio ungewohnt war. Schon lange lastete die Müdigkeit schwer auf seinen Lidern. Doch die beiden Künstler zu erleben, wie sie sich über den Tisch hinweg die Ideen zuwarfen, sie prüften, mit ihnen spielten, sie verwarfen oder verfolgten, übte eine solche Faszination auf ihn aus, dass er nichts von diesem Schauspiel versäumen wollte. Irgendwann konnte er ihren Ausführungen nicht mehr folgen, doch er hörte ihre Stimmen, und die Erregung, die in ihnen mitschwang, sagte ihm, dass sie eine Lösung finden würden.
    Ein Vogel, der ihm unbekannt war, saß im Feigenbaum und gab ein nächtliches Konzert. Von Zeit zu Zeit war ein Hufklappern zu vernehmen. Der warme Blütenduft drang durch die geöffneten Fenster und vermischte sich mit dem des Stufado, der noch in der Luft hing. Szenen seiner Reise kamen Aurelio in den Sinn: der bucklige Vinattiere, der ihn so betrunken gemacht hatte; der umgestürzte Meilenstein, auf dem er gesessen hatte, als Margherita gekommen war und ihn gefragt hatte, wo der Engel geblieben sei, der ihn hätte abholen sollen; die Taverne in Fano, in der sie das Zimmer mit den beiden Söldnern geteilt hatten; die Nacht, die sie neben dem Jupitertempel auf dem Apennin verbracht hatten; das tote Lamm und Margherita, die sich zwischen seine Schenkel kniete …
    Weder hätte er sagen können, wie er in sein Bett gekommen, noch wann er eingeschlafen war. Doch als er am nächsten Morgen erwachte, hatte Aurelio ein Lächeln auf den Lippen.

XV
    Der Stoff seines Hemdes war der gleiche wie beim letzten Mal, ebenso der Schnitt: schwer, schwarz, geschlitzte Ärmel, ein einzelner Knopf, mit dem sich der Kragen passgenau an seinen Hals schmiegte. Lediglich der Edelstein war ein anderer. Dieser schimmerte grünlich. Ein Smaragd von der Größe eines Daumennagels.
    Bramante reckte sein Kinn vor. »Soll er tun, was ihm beliebt – wenn er glaubt, dass ein paar Schläge an die Gurgel ausreichen werden, um ein Gerüst von solchen Dimensionen zu tragen.«
    Sorgozzoni, »Schläge an die Gurgel«, so hatte Piero Aurelio erklärt, waren kurze Hölzer, die wie Pflöcke im Mauerwerk verankert wurden, so dass man auf den überragenden Stümpfen Lasten aufbringen konnte. In Florenz benutzte man sie, um vorspringende Gebäudeteile zu stützten. Der Entwurf, den Michelangelo und Piero für die Bühne erarbeitet hatten, sah vor, einige Dutzend von ihnen fünf Handbreit tief in den Längswänden zu versenken, um sie als Träger für eine Reihe von Laufstegen zu benutzen, die sich wie Fußgängerbrücken von einer Wand zur anderen spannen sollten. Dabei würden die Stufen die Wölbung der Decke nachvollziehen, so dass jeder Teil des Gewölbes ohne Hilfsmittel erreichbar wäre.
    Papst Julius besah sich die Skizze: »Also ist es entschieden.« Er blickte erst Bramante an, anschließend Michelangelo, dem er die Zeichnung zurückgab. »Soll er tun, was ihm beliebt.«
    Michelangelo verbeugte

Weitere Kostenlose Bücher