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Der Sixtinische Himmel

Der Sixtinische Himmel

Titel: Der Sixtinische Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon Morell
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lassen, doch Julius’ Respekt vor der Kunst war zu groß. Es war weder die Schuld der Kunst noch die Pinturicchios, dass Alexander zum Papst gewählt worden war. Julius ließ den ersten Stock kurzerhand verschließen und bezog selbst die Gemächer des zweiten Stocks. Hier waren die Decken noch höher, die Zimmer noch großzügiger, die Aussicht noch herrschaftlicher. Und nichts erinnerte an seinen Vorgänger – außer, dass Julius dessen Gemächern auf dem Kopf herumtrampelte. Wann immer er seinen Stock auf die Fliesen krachen ließ, stellte er sich vor, wie Alexander unter ihm zusammenzuckte. Damit konnte er leben.
    * * *
    Was Aurelio über Aphrodite wusste, nahm sich dagegen sehr dürftig aus. Alles, was er mit Sicherheit sagen konnte, war, dass sie ihn verfolgte, seit er sie im Circus Agonalis die Stufen hatte emporsteigen und im Geschäft des Goldschmieds verschwinden sehen. Und je stärker er dieses Bild zu verdrängen versuchte, umso lebhafter trat es ihm vor Augen.
    Er hatte versucht, möglichst viel über sie zu erfahren. Doch selbst Margherita, der selbsternannte »Brunnen des Stadtgeflüsters«, schien wenig zu wissen und noch weniger preiszugeben. Seit einiger Zeit reagierte sie sogar richtig gereizt, sobald Aurelio davon anfing. »Hör auf!«, hatte sie neulich ausgerufen und ihm den Rücken zugedreht. Ihr Unmut währte jedoch nie lange. Nach einer Weile des Schweigens schmiegte sie sich wieder an ihn. »Was reckst du den Kopf nach einem fliegenden Vogel? Kümmere dich lieber um die gebratenen Täublein, die dir in den Mund flattern.« Mit diesen Worten ließ sie ihren Körper auf seinen gleiten, spreizte die Beine und führte seine Hände auf ihren Po. Es funktionierte jedes Mal. »Na bitte«, flüsterte sie. »Ich sage es doch: Du gehörst mir, mein kleiner Prinz. Hast du das etwa vergessen?«
    So viel hatte Aurelio ihr immerhin entlockt: Woher Aphrodite kam, wusste niemand. Sie war eine Waise. Vor zwei Jahren, bei seinem Feldzug gegen die abtrünnigen Lehensgebiete Perugia und Bologna, sollte sie Julius zufällig in die Hände gefallen sein. Sofern man bei einem Wesen wie ihr von Zufall sprechen konnte. Die eine Version besagte, Julius habe sie am Ufer des Lago Trasimeno entdeckt, als er während einer eintägigen Rast zum Angeln auf den See hinausgefahren war. Ein anderes Gerücht wollte wissen, dass er sie bei der Inspektion eines auf dem Weg liegenden Kastells in einem Verlies vorgefunden und niemand ihm Angaben über sie habe machen können. Wie auch immer: Julius hatte Rom ohne sie verlassen und war ein halbes Jahr später mit ihr zurückgekehrt – in einer geschlossenen, von seiner Leibgarde eskortierten Sänfte. Vom ersten Augenblick an soll er in ihr ein göttliches Zeichen erblickt haben. Mehr noch: Er war überzeugt davon, dass Gott ihm in Gestalt von Aphrodite eine Prüfung geschickt habe – dass in ihr Julius’ eigenes Schicksal eingeschrieben war. Welches er nicht zu lesen verstand. Noch nicht. Sein Orakel. Sein gordischer Knoten. Alexander dem Großen war es nicht anders ergangen.
    Fest stand, dass der Feldzug kein einziges Opfer forderte, nachdem Julius Aphrodite aufgegriffen hatte und in seinem Wagen beziehungsweise seinem Zelt unter Verschluss hielt. Ein Sekretär des Papstes, der inzwischen Margheritas Dienste als Kurtisane in Anspruch nahm, hatte ihr mit ungläubigem Kopfschütteln davon berichtet. Von dem Tag an, da der Papst seiner Schicksalsgöttin begegnet war, waren alle Zweifel und jedes Zögern von ihm gewichen. Es hieß, er habe Aphrodite befragt.
    »Nehmt Euch, was Euch zusteht«, soll sie geantwortet haben.
    Die Entschlossenheit, mit der Julius von da an sein Vorhaben vorantrieb, hatte nicht nur auf das eigene Heer, sondern auch auf jeden Gegner eine solche Wirkung, dass sich ihm niemand mehr in den Weg zu stellen wagte.
    Gianpaolo Baglioni, dem sonst kein Massaker blutig genug sein konnte, um die Herrschaft über Perugia nicht aus der Hand zu geben, ergab sich Julius und öffnete ihm die Stadttore, noch ehe der Pontifex anklopfen konnte. Der Sieg über Bologna zwei Monate später war noch triumphaler. Julius errang ihn, lange bevor die Stadttore überhaupt in Sicht waren. Die päpstlichen Truppen machten Station in Forlì – fünf Tagesmärsche von Bologna entfernt –, als ihn die Nachricht erreichte, dass die gesamte Sippe der Bentivoglio, die seit Jahrzehnten die Stadt als ihr Eigentum betrachtete, vorsorglich nach Mailand geflohen war. Bis sie in Bologna

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