Der Sixtinische Himmel
Einzug hielten, war der Triumphbogen für Julius bereits in Arbeit. Von diesem Tag an kannte die Verehrung des Papstes für Aphrodite keine Grenzen mehr. Und wenn man den Worten seines Sekretärs Glauben schenken durfte, auch nicht sein Verlangen.
* * *
Seit Aurelio erfahren hatte, dass Aphrodite den Nordflügel im ersten Stock des apostolischen Palastes bewohnen sollte, holte er das Wasser für die Arbeiten am Kapellengewölbe nicht mehr vom Brunnen auf dem Petersplatz, sondern nutzte den im Cortile del Belvedere – dem Innenhof der von Bramante neugebauten Korridore, die den Palazzo del Belvedere mit dem Papstpalast verbanden. Von hier aus hatte er die kleinen Bogenfenster der Appartamenti Borgia, die in den dicken Mauern wie Höhleneingänge anmuteten, genau im Blick. Jedes Mal, wenn er neues Wasser holte, sah Aurelio zu ihnen auf. Tag für Tag saß er auf dem Rand des noch unfertigen Brunnens und hoffte und bangte, ohne zu wissen, worauf oder wovor. Ein Zeichen? Unsinn. Nichts als die verdrehte Phantasie eines Herzkranken. Dennoch sah er zu den Fenstern auf und wartete.
Nach einem dieser sich endlos ziehenden Augusttage, an denen die Hitze unter dem Gewölbe ihm den Kopf von innen wie von außen verklebte, so dass er keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte, geschah es: Eine weiß behandschuhte Hand schob sich vor den grünen Samtstoff, der das Fenster verhängte. Aurelio hatte die Kellen und Eimer gereinigt, sich das Arbeitshemd ausgezogen und die Mörtelspritzer von Armen und Hals gewaschen. Anschließend hatte er seinen Kopf in den Brunnen getaucht und Brust und Schultern abgerieben. Seine Erschöpfung ließ die Gedanken wie eine zähe Flüssigkeit in seinem Kopf kreisen. Er mochte diese träge Erschöpfung nach einem langen Tag. Piero war bereits vorgegangen und kümmerte sich um das Abendessen. Aurelio würde ein gedeckter Tisch erwarten. Da erst begriff er, dass er die Hand längst bemerkt hatte. Aphrodites Hand. Aurelio richtete sich auf, ohne den Blick von der Fensteröffnung zu nehmen. Die Hand hatte den Vorhang so weit zur Seite geschoben, dass ein kleiner Spalt sichtbar wurde. Aurelio blickte sich um. Die Abendsonne tauchte das obere Stockwerk des östlichen Korridors in flammendes Licht. Über dem Cortile kreisten Möwen. Außer ihm und zwei mit sich selbst beschäftigten Wäscherinnen am anderen Ende des Hofes war niemand zu sehen.
Noch immer hielt die Hand den Vorhang leicht geöffnet. Es war also keine Einbildung gewesen. Im Halbdunkel des Gemachs meinte Aurelio, einen Schatten auszumachen. Jemand beobachtete ihn. Aurelio spürte es, wie man die Dunkelheit spürt, mit geschlossenen Augen. Reglos verharrte er auf dem Brunnenrand. Langsam verflüchtigten sich die Wassertropfen auf Brust und Schultern. Irgendwo wurde eine Tür geöffnet. Kurz darauf verstummte das Gespräch der beiden Wäscherinnen. Aurelio war allein, hilflos Aphrodites Blicken ausgeliefert. Er hörte Schritte im Seitenflügel.
Aus einem der Torbögen trat mit weichen Bewegungen eine gepunktete Katze auf den Hof. Sie war groß, riesig. Beim Gehen rieben ihre Schulterblätter gegeneinander. Im Gefolge des Tieres betraten zwei Männer den Hof. Sie trugen weiße Tuniken, die mit Lederbändern gegürtet waren. Der eine hatte seine Hand auf den Arm seines Begleiters gelegt. Der andere hielt etwas in der Hand, das Aurelio im ersten Moment für einen Zügel hielt. Es war jedoch eine Leine. Die Riesenkatze wurde an einer edelsteinverzierten Lederleine geführt. Die Katze machte ein Geräusch, als würde ihr etwas im Hals stecken. Aurelios Haut spannte sich, überall. Sie kamen zum Brunnen. Die Katze blieb vor ihm stehen. Sie war echt. Sie musste es sein. Sie roch, und Aurelio hörte sie atmen. So echt konnte sich keine Täuschung anfühlen. Auch ihr Halsband war mit Edelsteinen verziert. Sie beschnupperte seine Füße.
»Ist da jemand?«, fragte der Mann, der seine Hand auf den Arm des anderen gelegt hatte.
Der Mann mit der Leine knurrte etwas, das Aurelio lange im Kopf herumging, bevor sich daraus das Wort »uomo« geformt hatte. Mann. Damit war er gemeint.
»Guten Tag«, sagte der, der gefragt hatte. Seine Augen starrten ins Nichts.
»Guten Tag«, antwortete Aurelio.
Die riesige Katze sprang mit einer geschmeidigen Bewegung auf den Brunnenrand, tauchte eine Pfote ins warme Wasser, zögerte einen Moment und watete dann ganz ins Becken.
»Was ist das für ein Tier?«, fragte Aurelio.
»Giaguaro«, antwortete der, der ins
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