Der Sixtinische Himmel
Buonarroto und Giovan Simone bei einem Wollweber in Florenz Arbeit besorgt. Dort sollten sie das nötige Handwerk erlernen, um später ein eigenes Geschäft führen zu können. Doch nicht einmal die Aussicht darauf, dass Michelangelo ihnen mit seinem Geld den Grundstein für eine geschäftliche Existenz legte, konnte Giovan Simone in Florenz halten. Im Gegenteil: Ein eigenes Geschäft würde nur noch mehr Arbeit bedeuten. Noch dazu würde er Verantwortung übernehmen müssen.
»Und vor dieser Verantwortung fürchtet er sich«, folgerte Aurelio.
»Davor würde er sich fürchten«, entgegnete Michelangelo, »wenn er wüsste, was Verantwortung ist. Wovor er sich tatsächlich fürchtet, ist Arbeit. Die hat er nämlich kennengelernt – wenngleich nur flüchtig.«
Mit einem Wort: Giovan Simone war vollständig lebensuntüchtig. Und er war überzeugt davon, dass er nur nach Rom kommen müsste, damit sein großer Bruder ihm eine Stellung beschaffte, die ihn für den Rest seines Lebens davon abhielte, zu arbeiten oder Verantwortung zu übernehmen. Nichts und niemand hätte ihn davon abbringen können.
Er kam also. Noch dazu, als sie gerade die Arbeiten am Fresko aufgenommen und jeden Tag mit neuen Problemen zu kämpfen hatten. Die Stimmung innerhalb der Bottega war gespannt. Das Fresko ging quälend langsam voran. Bei dem Tempo würden sie Jahre brauchen. Es sei denn, Michelangelo würde den anderen gestatten, ebenfalls zum Pinsel zu greifen. Schließlich waren mit Ausnahme Granaccis alle erfahrene Freskanten. Doch Michelangelo ließ sie nicht einmal ein Gesims oder ein Stück Himmel malen. In dieser Situation stieß Giovan Simone zu ihnen, polterte ins Haus, als gehöre es ihm, und konnte nicht glauben, dass Michelangelo ihm nichts anderes zu bieten hatte, als mit Bugiardini, Agnolo und Granacci im Atelier zu schlafen. Überhaupt: Was war denn das für eine ärmliche Bleibe? Hatte der Mann, der die Kapelle, in der der Papst gewählt wurde, mit Fresken versah, nicht Anspruch auf etwas Besseres?
»Was kümmert dich das?«, wies ihn Granacci zurecht, der aus seiner Abneigung gegen Giovan Simone keinen Hehl machte. »Du hast Anspruch auf dieses Bett, alles andere geht dich nichts an.«
Giovan Simone wusste, wem aus der Bottega er besser aus dem Weg ging: Rosselli und Granacci. Die kannten ihn einfach zu gut und waren mit Michelangelo zu eng befreundet. Die anderen kümmerten sich kaum um ihn.
Dafür verbiss er sich in seinen Bruder wie eine Zecke. In Momenten, da keiner aus der Bottega den Bildhauer anzusprechen wagte, weil er etwa mit äußerster Konzentration an einem Entwurf arbeitete, konnte man sicher sein, dass Giovan Simone mit selbstsicherem Grinsen hereingeplatzt kam, seine blonden Locken schwungvoll über die Schulter drapierte und seinen Bruder mit einer absoluten Nichtigkeit behelligte. Wann er sich endlich neue Hemden zu kaufen gedenke, zum Beispiel. Wie konnte ein Buonarroti mit derart abgewetzten Leinenfetzen auf die Straße gehen? Wenn Ludovico, ihr Vater, das sehen könnte! Er, Giovan Simone, werde sich jedenfalls so nicht mit seinem Bruder in der Öffentlichkeit zeigen.
Michelangelo warf ihm einen Blick zu, der Marmor geschnitten hätte. »Du kommst nach Rom, weil du durch mich eine Stellung zu ergattern erhoffst, und wagst es, mir zu sagen, wie ich mich zu kleiden habe?«
»Reg dich nicht auf. Ich wollte dir lediglich einen Gefallen tun. In diesem Aufzug jedenfalls kannst du dich in der Öffentlichkeit nicht zeigen.«
Einen Moment lang war nur das Zischen von Michelangelos Nase zu hören. Seine Hände ballten sich zu Fäusten.
»Ich geh ja schon«, lenkte Giovan Simone ein und verließ die Küche. Doch spätestens zwei Stunden später biss die Zecke erneut zu.
»Er glaubt, seinem Bruder nur lange genug auf den Nerven herumtrampeln zu müssen, dann wird er ihm schon eine Stellung besorgen«, sagte Rosselli, »und wenn es nur ist, um ihn endlich loszuwerden.«
Nachts, in der Küche, stritten sie sich. Die ganze Bottega hörte mit: »Was kann es dich schon kosten?« Giovan Simone schwankte zwischen Entrüstung und Unterwerfung. »Schließlich bin ich dein Bruder, hast du das vergessen?«
»Wie könnte ich das«, schnappte Michelangelo zurück, »da du mich stündlich daran erinnerst?«
»Dann besorg mir einen Posten«, verlangte Giovan Simone trotzig.
»Als was?« Michelangelos Stimme donnerte durch das Haus. »In dieser Stadt gibt es Priester, Pilger und Prostituierte. Such dir was davon
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