Der Sixtinische Himmel
sie es sogar gesagt, das mit dem Sohn, in einer dieser vor Hitze starren Augustnächte, als sie mit schweißglänzenden Körpern nackt auf ihrem Bett lagen, das sie extra für ihn mit einem neuen Laken bezogen hatte. »Du bist alles, was ich mir immer erträumt habe.« Sie wickelte sich eine seiner Locken um den Finger. »Geliebter und Sohn in einem.«
»Ich bin nicht dein Sohn«, antwortete Aurelio und zog ihre Hand aus seinen Haaren. »Außerdem soll man seinen Sohn nicht lieben – nicht wie einen Geliebten. Das ist Sünde.«
Sie strich ihm über die Brust. Immer fummelte sie an ihm herum. Er wusste, was gleich folgen würde. Sie würde ihre Schenkel spreizen, sich über ihn beugen, er würde von sündhafter Gier durchströmt werden, sein Glied würde sich so sehr versteifen, dass das Blut darin pochte, Margherita würde ihn in sich aufnehmen und langsam und genüsslich über die Klippe stoßen. Seine Schwachheit beschämte Aurelio, und manchmal, in Momenten wie diesem, schlug diese Scham sogar in Verachtung um. Es war, wie Margherita gesagt hatte: Die Natur des Mannes war so eingerichtet, dass sein Geist dem Fleisch am Ende immer unterlag.
»Du bist so süß«, flüsterte sie und rieb ihr Becken an seiner Hüfte.
Der Geruch ihres Schoßes stieg ihm in die Nase. Im nächsten Augenblick hatte sein Geist bereits vor dem Fleisch kapituliert. »Und ich mag nicht, wenn du sagst, ich sei süß.«
Ihre Hand umschloss sein Glied. Sie beugte sich über ihn und ließ langsam ihre Zunge über seine Lippen gleiten. Als er ihren Po umfasste, presste sie ihren Oberkörper an seine Brust, ihre erigierten Brustwarzen drückten sich in seine Haut, und dann wusste er nur noch, dass er gleich kommen würde.
Margherita verzog ihren Mund zu einem schiefen Grinsen. So war es immer: Als sei es ein Kampf, bei dem sie jedes Mal triumphierte und er jedes Mal unterlag. »Aber du bist es«, sagte sie, während ihre Zunge mit seinem Ohr spielte. »So süß.«
* * *
Die Nacht war vorangeschritten. Der Mond hatte seinen höchsten Punkt bereits passiert. Aurelio war von zwei Frauen angesprochen und von diversen Hunden beschnuppert worden, hatte den Wachwechsel an der Torre di Nona beobachtet und eine Reihe dunkler Gestalten im Halbdunkel an sich vorübergehen lassen. Irgendwann war ein herrenloses Boot den Fluss hinabgetrieben, das sich in den ansteigenden Wassern des Tiber losgemacht haben musste. Ein Stück flussaufwärts, hinter der Biegung, befand sich die Ripetta, ein Ort, der tagsüber so geschäftig war wie nachts gefährlich. Nach Sonnenuntergang suchte ihn niemand mehr freiwillig auf – nicht einmal die Sbirri, die eine Art polizeilicher Gendamerie darstellten und eigentlich zu jeder vollen Stunde auf ihren Wachgängen dort vorbeikommen sollten. Wer an der Ripetta seine Leichen entsorgte, wollte ungestört bleiben und hatte nicht selten einflussreiche Auftraggeber. Mischte sich ein Sbirro ein, riskierte er sein Leben. Folglich setzten sich die Polizisten diesem Risiko gar nicht erst aus. Es wäre ihnen ohnehin nichts anderes übriggeblieben, als unauffällig den Kopf abzuwenden.
Margheritas Besucher war hartnäckig. Noch immer hatte sie die zweite Fackel nicht aufgesteckt. Nächste Woche würde sie Aurelio Vorwürfe machen, sanfte, klebrige Vorwürfe, ob sie es nicht wert sei, länger auf sie zu warten. Doch wie immer würde sie ihm verziehen haben, bevor sie mit den Vorwürfen am Ende war. Es war Teil des Spiels, mehr nicht. Bedeutungslos im Grunde. Die Holzkiste war verschwunden. Entweder der Strudel hatte sie in die Tiefe gezogen, oder sie hatte sich losreißen können. Am Ende war auch das bedeutungslos. Aurelio ging, ohne sich noch einmal umzudrehen.
XXVI
Michelangelo hatte alles getan, um Giovan Simone am Kommen zu hindern. Sicher ein halbes Dutzend Briefe hatte er verfasst, um seinen Bruder vor der römischen Luft zu warnen, der unerträglichen Hitze, die krank mache und ihm nicht bekomme, vor der Pest, dem furchtbaren Essen und von der Unmöglichkeit, ihm hier eine Stellung zu besorgen. Nichts davon hatte Wirkung gezeigt. Jetzt, da sein großer Bruder so erfolgreich war, im Vatikan arbeitete und sogar eine persönliche Beziehung zum Papst unterhielt, da musste es Michelangelo doch möglich sein, ihm, Giovan Simone Buonarroti, eine Stellung zu besorgen. Denn das war es, worauf er aus war. Er wollte keine Arbeit, er wollte eine Stellung. Geld ja, Arbeit nein.
Ein Jahr zuvor hatte Michelangelo seinen Brüdern
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