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Der Sixtinische Himmel

Der Sixtinische Himmel

Titel: Der Sixtinische Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon Morell
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Zugeständnis, das ich mache«, sagte er, ohne den Blick von der Decke zu nehmen. »Und es wird das einzige bleiben.«
    Granacci warf Rosselli einen Seitenblick zu, der sein früh gealtertes Gesicht wie das eines jugendlichen Gauklers aussehen ließ.
    Rosselli neigte den Kopf zur Seite. »Aurelio«, flüsterte er seinem Gehilfen zu, »rühr’ den Intonaco für die heutige Giornata an.«

XXX
    Michelangelo hatte die anderen vorgeschickt. Nur Aurelio und er waren noch in der Kapelle. Bevor sie gingen, warf der Künstler einen letzten, von Trauer erfüllten Blick auf das, was er fortan nur noch die Strafe Gottes nennen würde. Als habe der Allmächtige persönlich ihm die Sintflut geschickt – in Gestalt dieses Gewölbes.
    »Ich bezweifle«, setzte er an, und kleine Nebelwölkchen sprangen von seinen Lippen, »dass ich mit ein paar Schweineborsten in der Hand jemals die nötige Leidenschaft aufbringen werde. Und ohne Leidenschaft, mein lieber Aurelio, kann etwas niemals über den Stand des Handwerks hinauswachsen.«
    Er rieb sich den schmerzenden Nacken und betrachtete mit müden Augen, wie die neugemalte Sintflut matt schimmernd in der Dämmerung versank.
    Aurelio suchte nach einer Antwort. Er verfügte weder über die Worte noch über das Wissen, das Fresko so wie Granacci oder Rosselli zu beschreiben, doch die Wirkung spürte er wie alle anderen, vielleicht sogar noch stärker. Keine der Arbeiten der Florentiner Meister an den Seitenwänden war auch nur annähernd von so viel Leben und Dynamik erfüllt.
    Während Aurelio versuchte, seine Gedanken in Worte zu fassen, hörte er eine sonderbar tonlose Srtimme: »Michelangelo Buonarroti?«
    Verwundert blickten Michelangelo und sein Gehilfe einander an. Aurelios Augen suchten den Andachtsraum ab, konnten jedoch niemanden erblicken. Unterdessen wurde ihm bewusst, dass er die Stimme zu kennen glaubte. Aus dem Augenwinkel bemerkte er, wie zwei in schwarzen Kapuzenmänteln verborgene Gestalten aus dem Schatten des Seiteneingangs traten. Auch dieser Anblick war Aurelio auf seltsame Weise vertraut. Instinktiv wich er einen Schritt zurück. Sein Meister indessen bewegte sich keinen Fingerbreit.
    Sechs Fuß vor Michelangelo blieben die beiden Gestalten stehen. »Maestro Buonarroti?«
    Die zwei Männer aus dem Cortile. Jetzt wusste Aurelio, weshalb ihm der Anblick so vertraut war. Es waren die beiden Männer, die den Jaguar zum Brunnen geführt hatten – der eine geblendet, der andere ohne Zunge.
    »Wer will das wissen?«, antwortete Michelangelo.
    Der Blinde löste sich von seinem Begleiter und trat einen Schritt vor. Von unter der Kapuze erscholl eine heisere Stimme. »Man wünscht, Euch zu sehen.«
    »Wer wünscht, mich zu sehen?«
    Die Kapuze drehte sich ein wenig. Aurelio wurde von dem Blick eines blinden Auges getroffen. Er kann mich hören, ging es dem Gehilfen durch den Kopf – meinen Atem, meinen Herzschlag, womöglich meine Gedanken.
    »Diese Information ist ausschließlich für die Ohren von Michelangelo Buonarroti bestimmt«, sagte der Blinde.
    Erneut machte er einen Schritt auf Michelangelo zu, blieb direkt vor ihm stehen und beugte sich vor, bis seine Kapuze nur noch einen Fingerbreit von Michelangelos Stirn entfernt war. Aurelio sah Worte als Dampf aufsteigen, konnte sie jedoch nicht hören.
    Plötzlich wich auch Michelangelo zurück. Sein Blick sprang zwischen den Männern hin und her. Ein Schauer durchlief seinen Körper. Langsam breitete er die Arme aus, die Hände zur Decke gerichtet: »Macht dieses Gewölbe den Eindruck, als mangele es mir an Arbeit?«
    Wieder trat der Blinde an ihn heran und beugte sich hinab. Unter seiner Kapuze quoll neuerlicher Dampf hervor.
    Es folgte ein langer Moment gespannter Stille, unterbrochen nur von dem unregelmäßigen Pfeifen aus Michelangelos Nase.
    »Geh schon vor«, sagte er schließlich, ohne sich Aurelio zuzuwenden. »Ich komme später nach.«
    * * *
    Aurelio drückte sich in die lichtlose Nische neben dem Tor, durch das man zum Petersplatz gelangte. Von hier aus hatte er den Eingang der Kapelle im Blick. Nicht einmal die beiden in ein Gespräch über die Vorzüge unterschiedlicher Tavernen vertieften Palastwachen bemerkten ihn. Mit klammen Fingern und vor Kälte starren Füßen wartete er darauf, dass sich die Tür öffnen und sein Meister in Begleitung der beiden Männer erscheinen würde. Doch er wartete vergebens. Auf der Baustelle von Sankt Peter war längst Ruhe eingekehrt.
    Die Stunde des Nachtgebets war

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