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Der Skandal der Vielfalt - Geschichte und Konzepte des Multikulturalismus

Der Skandal der Vielfalt - Geschichte und Konzepte des Multikulturalismus

Titel: Der Skandal der Vielfalt - Geschichte und Konzepte des Multikulturalismus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker M. Heins
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können, zu wählen oder abzuwägen: zwischen Gewissen und Erfolg, Wirtschaftswachstum und Umweltschutz, nationaler Sicherheit und Menschenrechten, Kindern und Karriere usw. Diese ethischen Dilemmata, so Taylor, sind nicht notwendigerweise gravierender als die Dilemmata, die sich aus weltgesellschaftlichen Kontaktzonen mit anderen Kulturen ergeben. Taylor fügt hinzu, dass die Frage nach der Grenze einer derartigen, an heimischen Dilemmata geschulten Verständigung eine rein empirische ist. Daraus ergibt sich die Aufgabe, den Verlauf dieser Grenze, wenn es sie denn gibt, in realen Austauschprozessen herauszufinden , anstatt sie in theoretischen Konstruktionen vorauszusetzen oder zu leugnen. Schmitts »Kampf« mag eine stets präsente Möglichkeit sein, aber nicht minder denkbar ist die »Möglichkeit einer Verbrüderung « (Derrida 2000: 11).
    Ich fasse zusammen. Taylor entwickelt eine Theorie der Moral und der Politik, die zentrale Aussagen zur Reichweite der Geltung von Werten in der Schwebe hält und vom Ausgang empirischer Verständigungsprozesse abhängig macht. Dies hat Konsequenzen für seine Idee der Anerkennung, worunter Taylor »positive Werturteile« (Taylor 2009: 58) über die besonderen Eigenschaften, Fähigkeiten und Leistungen von Personen und Gruppen versteht. Die Konzentration auf besondere oder einzigartige Qualitäten impliziert, dass das Medium des Rechts, da es neutral und ohne Ansehen der Person operiert, nur eine flankierende Rolle in Prozessen der wechselseitigen Anerkennung spielen kann, bei denen nichtrechtliche Formen der Wertschätzung zumeist eine wichtigere Rolle spielen. Diese lassen sich ihrer Natur nach nicht rechtlich vorschreiben. Anerkennung ist eine Haltung der nicht nur symbolischen, sondern auch materiell gehaltvollen Wertschätzung, mit der Subjekte auf besondere oder einzigartige Qualitäten anderer reagieren und damit zugleich zur Konstitution der Träger dieser Qualitäten beitragen. Angewendet auf Konflikte in kulturell heterogenen Gesellschaften stößt die Anerkennungsidee allerdings auf Schwierigkeiten. Wir haben bereits gesehen, dass es nicht auf Anhieb einleuchtet, wie Gruppen einander wertschätzen können, die sich doch gleichzeitig genau durch ihre miteinander unverträglichen starken Wertungen unterscheiden. Taylors Theorie hilft uns zu verstehen, warum bestimmte Gruppen soziale Anerkennung als eine Form der bekräftigenden Resonanz ihrer eigenen Identitätskonstruktionen begehren . Sie ist jedoch weniger überzeugend an den Stellen, an denen sie zeigen will, dass auch die interkulturelle Gewährung von Anerkennung eine vernünftigerweise erwartbare Haltung ist. Wäre nicht schon viel gewonnen,wenn sich beispielsweise Muslime, Christen und Juden überall auf der Welt zähneknirschend tolerieren würden, auch wenn sie es nicht schaffen, sich gegenseitig »positive Werturteile« auszustellen?
    Taylor selbst sieht noch eine andere Schwierigkeit. Was bedeuten positive Werturteile in einer globalen Situation, in der es seiner eigenen Auskunft nach nicht zulässig ist, gemeinsame Maßstäbe dafür vorauszusetzen, was wertvoll und bewundernswert ist? Die Forderung nach Anerkennung kann, so die Befürchtung, zum Gegenteil des gewünschten Resultats führen und gleichmacherisch wirken. »Denn sie unterstellt, daß wir die Maßstäbe, mit denen sich solche Urteile fällen lassen, schon besäßen. Die Maßstäbe, über die wir verfügen, sind indessen die der nordatlantischen Zivilisation« (ebd.). Das bedeutet nicht, dass wir, sofern wir uns dieser Zivilisation zurechnen, jene Maßstäbe über Bord werfen sollen oder auch nur können, ohne uns in Widersprüche zu verwickeln. Wir können nicht willkürlich beschließen, beispielsweise arrangierte Ehen, die ohne unsere partikularistische Begleitvorstellung von »Liebe« geschlossen werden, plötzlich gut zu finden. Allerdings kann von Einzelnen und Gruppen mit unterschiedlichen Herkunftskulturen erwartet werden, so Taylor am Schluss seines Multikulturalismus-Essays, dass sie von der » Annahme der Gleichwertigkeit« (ebd.: 59) ausgehen, wenn sie in ihren Interaktionen mit anderen auf schwer verständliche kulturelle Ideen oder Praktiken treffen. Diese Annahme mag dann im Zuge der gemeinsamen Untersuchung einzelner Ideen und Praktiken bestätigt oder widerlegt werden. Die Unfähigkeit jedoch, eine solche Hypothese zuzulassen und stattdessen kulturelle Vielfalt von vornherein als skandalös zu betrachten, ist für Taylor »ein

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