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Der Skandal der Vielfalt - Geschichte und Konzepte des Multikulturalismus

Der Skandal der Vielfalt - Geschichte und Konzepte des Multikulturalismus

Titel: Der Skandal der Vielfalt - Geschichte und Konzepte des Multikulturalismus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker M. Heins
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donning a beard and a topi are often picked upfor interrogation from public spaces like parks, railway stations and markets. Some women who interacted with the Committee informed how in the corporate offices hijab wearing Muslim women were finding it increasingly difficult to find jobs. Muslim women in burqa complain of impolite treatment in the market, in hospitals, in schools, in accessing public facilities such as public transport and so on.« (Ebd.: 12)
    Anders als in Frankreich ist keines der indischen Kommissionsmitglieder auf die Idee gekommen, das Problem dadurch zu »lösen«, dass man die Zeichen muslimischer Identität einfach aus dem öffentlichen Raum verbannt. Auch der Begriff der »Integration« wird in dem Bericht kein einziges Mal verwendet, was vielleicht nicht überrascht in einem Land, in dem Muslime eine große einheimische Minderheit bilden, die eine eigene, in manchen Distrikten und Bundesstaaten offiziell anerkannte Sprache (Urdu) spricht, eigene Hochschulen unterhält und über eine eigene Rechtsprechung in Fragen des Personen- und Familienrechts verfügt. Wie auch in anderen postkolonialen Gesellschaften gibt es in Indien keinen Nationalstaat im europäischen Sinne und folglich auch keinen einheitlichen Bürgerstatus, sondern eine Mehrzahl von einander überlappenden ethnischen, liberalen, republikanischen und nichtstaatlichen Statusordnungen (vgl. Shani 2010). Da folglich kulturelle Autonomie ohnehin selbstverständlich ist, bedeutet »Anerkennung« etwas anderes als im Westen, nämlich vor allem »Umverteilung« von materiellen Ressourcen. 31 Wenn Levent Tezcan der DIK eine Strategie der kulturalisierenden Subjektivierung nachsagt, kann man beim Sachar Committee von der Gegenstrategie einer datenhungrigen Objektivierung sprechen. Tatsächlich liefert der Abschlussbericht zahlreiche Belege für die systematische Diskriminierung der indischen Muslime und empfiehlt Gegenmaßnahmen, um den Zugang von Muslimen zum Arbeitsmarkt, zu Krediten, öffentlichen Ämtern, Gesundheit und Bildung zu verbessern. Fragen der Identität, der physischen Sicherheit und der materiellen Gerechtigkeit werden in ihrem Zusammenhang beleuchtet.
    Bemerkenswert ist das Beispiel dieser indischen Untersuchung und der von ihr ausgelösten Debatte auch deshalb, weil zwar von der »Minderheit« der Muslime die Rede ist, zugleich aber die enorme innere Differenzierung dieser Minderheit sowie der administrative und paternalistische Charakter des staatlichen Minderheiten-Labels hervorgehoben wird. Die muslimische Minderheit in Indien ist nur eine Untergruppe innerhalb einer Vielzahl von verarmten Minderheiten, die zusammengenommen die große Mehrheit der Bevölkerung bilden (vgl. Fazal 2010).
    4. Die kanadische Bouchard-Taylor-Kommission unterscheidet sich von allen drei genannten Regierungsinitiativen darin, dass sie dem von der Commission Stasi proklamierten und gründlich verfehlten Ideal eines »freien Dialogs« unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen am nächsten kommt. Sowohl in ihrer Arbeitsweise als auch in ihren Resultaten ist die Bouchard-Taylor- Kommission als Gegenentwurf zur französischen Kommission konzipiert worden und muss als nordamerikanische Antwort auf diese verstanden werden (vgl. Adelman 2011). Der Unterschied wird bereits daran deutlich, dass die Kanadier versucht haben, die Vielzahl der Stimmen von Bürgern, Aktivisten und Experten zu Fragen der kulturellen Stellung und des Verhältnisses von ethnischen und religiösen Gruppen einzufangen. Die Kommission hat nicht nur dreizehn Forschungsprojekte an den Universitäten der Provinz in Auftrag gegeben, sondern auch fast sechzig Treffen mit Verbandssprechern absolviert. Die gesamte Öffentlichkeit in Quebec wurde aufgefordert, Stellungnahmen einzureichen. Alle Stellungnahmen wurden von den Kommissionsmitgliedern gelesen, in verschiedene Argumentationstypen aufgeteilt und in über dreißig öffentlichen Hearings diskutiert. Dabei handelte es sich um Bürgerforen ohne jede Zugangsbeschränkung an verschiedenen Orten, die live vom Fernsehen übertragen wurden. Mitreisende Journalisten sprachen von einem beispiellosen Wanderzirkus (Heinrich und Dufour 2008). Das Resultat des gesamten Unternehmens ist der im Mai 2008 erschienene Abschlussbericht der Kommission, der sich wie ein multilokales, ethnokulturelles Sittenbild der kanadischen Provinz Quebec im Jahr 2007 liest.
    Drei Dinge zeichnen die Kommission und ihren Bericht aus: Erstens gehören beide zur

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