Der Skandal der Vielfalt - Geschichte und Konzepte des Multikulturalismus
Abschlussbericht der Kommission auch einige starke Hinweise gegen »Rassismus« und »Antisemitismus« enthält, die von Kritikern oft überlesen worden sind. Viel geschrieben worden ist hingegen über die obsessive Fixierung des Berichts und der französischen Öffentlichkeit auf Musliminnen und ihre »Kopftücher«, in der sich hysterische Ängste und herablassendes Mitleid mit den vermeintlichen Opfern rückschrittlicher Kulturen vermischen. Anders als die meisten anderen säkularen Verfassungen des Westens ist der französische Laizismus nicht weltanschaulich neutral, sondern selbst ein Weltbild mit einem umfassenden Erlösungsversprechen. So heißt es im Abschlussbericht, dass das »Prinzip« oder das »Ideal« des Laizismus die Einheit des nationalen Kollektivs und das »gemeinsame Schicksal« (Stasi 2003: 17)seiner Mitglieder verbürge. In der Einleitung wird auf die »Bedrohungen [ menaces ]« dieses Ideals verwiesen. Die Quelle dieser Bedrohungen wird im »Nahen Osten« und bei den Einwanderern aus dieser Region verortet, deren Einstellungen und Verhaltensweisen zu einer »Verschlechterung [ dégradation ]der Lage« in den Städten und in den öffentlichen Institutionen des Landes beigetragen hätten. Diese Situation erfordere eine » restauration de l’autorité républicaine « (ebd.: 6f.). Alles Weitere ergibt sich mit zwingender cartesianischer Logik aus diesen Prämissen. Der Bericht drängt vor allem darauf, nicht jene Zugeständnisse zu wiederholen, zu denen Frankreich hier und da »in den Kolonien, wo der französische Laizismus auf den Islam traf« (ebd.: 11), gezwungen war.
Der Text des Berichts ist von einer Stimmung der »Krise« durchdrungen, die auch als solche bezeichnet wird, sowie von dem Paradox, dass eine Vernunft beschworen wird, die bei genauer Betrachtung ganz unvernünftig, affektgesteuert und partikularistisch daherkommt. Die Einheit der Nation wird angeblich bedroht durch »Fragmentierung« und den »Kommunitarismus«, das französische Codewort für Multikulturalismus. Diese Übel wiederum werden direkt auf die muslimische Einwanderung zurückgeführt. Die muslimische Einwanderung wird als ein geschichtlicher Einschnitt, eine » rupture majeure « gekennzeichnet, die aber auch eine Chance zum »freien Dialog« zwischen der Regierung und den Minderheiten biete (ebd.: 17). Das zweite große Paradox der Kommission ist, dass sie sich darauf beschränkt hat, ein paar handverlesene Muslime als Kommissionsmitglieder zu rekrutieren, ohne wirklich zu dem beschworenen interkulturellen Dialog irgendetwas beizutragen. Stattdessen endet ihr Abschlussbericht mit Empfehlungen an den Gesetzgeber, die auch tatsächlich beherzigt und rasch umgesetzt wurden. Die bekannteste darunter ist die Empfehlung, an allen öffentlichen Schulen des Landes das Tragen von deutlich sichtbaren Zeichen ( signes ostensibles ) der religiösen Herkunft oder Verbundenheit zu untersagen. Solche ostentativen Zeichen sind das Kreuz, der Schleier und die Kippa (ebd.: 68). An keiner Stelle wird die Frage gestellt, für wen diese Dinge was genau bedeuten. Ebenso wenig ist ein Bewusstsein darüber zu erkennen, dass die beklagte Auffälligkeit der genannten Zeichen durch den Bericht selbst generiert wird, der dazu beigetragen hat, insbesondere die Kopfbedeckungen von Musliminnen zu Stigmata zu machen.
2. Ähnlich wie die Commission Stasi bezieht sich auch die Deutsche Islamkonferenz (DIK) auf eine bestimmte minoritäre Population (Muslime), die durch ihre Religion (Islam) bestimmt wird, der wiederum eine außereuropäische Herkunft (Türkei, Naher Osten usw.) bescheinigt wird. Diese Bevölkerungsgruppe wird als schwer regierbar eingestuft und zum Ziel einer »kulturell unterlegten Integrationspolitik« gemacht, wie Levent Tezcan (2012: 106) ausführt, auf dessen Analyse ich mich hier stütze. Die DIK teilt den neo-assimilationistischen Grundzug der französischen Initiative. Damit meine ich nicht, dass das Grundgesetz als nicht verhandelbar vorausgesetzt wird, sondern dass die Konferenz, wie es in einem ihrer Papiere heißt, »kulturelle Leitorientierungen der Mehrheitsgesellschaft« in den Raum stellt, an die »Anpassung« verlangt wird (zit. ebd.: 111). Kulturelle Leitorientierungen sind Regeln, die über das Recht hinausweisen, das heißt Dinge wie »Konventionen, Umgangsformen, immer wieder auch eingebracht als ›deutsche Wertordnung‹« (ebd.: 107). Da diese Leitorientierungen nicht rechtsförmig sind, sondern in den
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