Der Skandal (German Edition)
warten. »Entschuldigt!«, seufzt er. »Geschäftliches …«
»Das war doch der junge Brewer«, sagt seine Mutter. Ihr entgeht einfach nichts.
»Ja«, sagt er, »ich soll euch Grüße von ihm und seiner Frau ausrichten. Die Kleine ist krank.«
»Sie ist mir schon immer etwas kränklich vorgekommen«, meint seine Mutter trocken.
»Sie ist halt ein zartes Mädchen, nicht so ein Rabauke, wie Frank einer gewesen ist.«
Heather funkelt ihn an.
In dem Augenblick schießt ein Verdacht in ihm hoch. Könnte sie hinter diesem Erpresserbrief stecken? Sie und … Vielleicht hat sie ja einen Liebhaber …
»Was ist?«, fragt Heather ungehalten. »Wärst du jetzt vielleicht so freundlich und lässt uns einsteigen, Carl? Es ist ziemlich kalt hier draußen. »
Auf der Rückfahrt zum Haus seiner Mutter gehen ihm Brewers Worte im Kopf herum.
»Du musst heute Abend allein zu diesem Kammerkonzert«, sagt Heather von hinten mitten in seine Überlegungen hinein. »Ich glaube, ich bekomme eine Erkältung.« Sie schnäuzt sich demonstrativ. Seine Mutter, die neben ihm sitzt, gibt ein Schnauben von sich, leise zwar, aber deutlich hörbar.
»Schade, Liebling«, sagt er. »Es ist sicher vernünftiger, wenn du zu Hause bleibst.«
Als Christina am Morgen wieder in die Klinik kommt, sitzt Jay im Bett und lacht. Das macht Christina so glücklich wie damals, als er sie zum ersten Mal angelächelt hat – oder Mom zu ihr gesagt hat.
»Mom«, sagt er, als sie ihn in die Arme nimmt. Sie streichelt und küsst ihn und will ihn nie wieder loslassen. Eine Weile hält sie ihn einfach so. Dann sagt er etwas. Sie versteht ihn nicht ganz und fragt: »Was hast du eben gesagt?«
»Scheißkerl.«
»Wer ist ein Scheißkerl, mein Schatz?«
»Tim hat Scheißkerl zu dem Mann gesagt.«
»Zu dem Mann, der an der Tür geklingelt hat?«
Jay nickt langsam und gewichtig, so wie Kinder das eben tun.
In ihr spult sich etwas zurück.
Acht Jahre früher.
Tim: Ich habe Pete übrigens mit einer anderen Frau gesehen.
Christina: Ich weiß.
Tim: Ach?
Christina: Sie heißt Sandra Rustand.
Tim: Dieser Scheißkerl!
Die nächsten Fragen stellt Christina, weil sie hofft, dass Jay einen ganz anderen Mann beschreibt – und nicht Pete.
»Und Tim hat ihn reingelassen?«
Jay nickt wieder.
»Kannst du den Mann beschreiben? War er groß? Größer als Tim?« Sie sitzt auf Jays Bett und muss sich zurückhalten, dass sie nicht dauernd seine Hand streichelt. Das mag er nicht.
Jay zuckt mit den Achseln. »Weiß nicht.«
»Und seine Haare? War er so blond wie ich? Oder so wie Tim?« Sie spürt, wie schwer es ihm fällt, sich zu erinnern.
»Grau.«
Ein Scheißkerl mit grauen Haaren, denkt sie gerade, da sagt Jay: »Pete.«
»Was hast du gesagt?«
» Pete und Scheißkerl , hat Tim gesagt.«
Ein Schwindel überfällt sie, der sie beinahe zu Boden reißt.
»Mom?«, hört sie Jay rufen.
Sie kann gar nichts dagegen tun. Jays Gesicht ist auf einmal ganz nah, aber schon verschwimmt es, als ein schriller Ton sie wieder ins Jetzt reißt. Reflexartig greift sie in die Jackentasche und spürt ihr Telefon vibrieren.
»Spreche ich mit Detective Christina Andersson?«
»Ja …«
»Mein Name ist Phil Springsteen. Ich bin Journalist. Tim Andersson war Ihr Bruder?«
»Ja …«
»Ich habe Hinweise, dass sein Tod mit einem Gutachten in Verbindung steht …?«
»Von welchen Hinweisen sprechen Sie?«
»Wir sollten uns treffen. Passt Ihnen heute Abend, ich sage Ihnen noch, wo.«
»Warum nicht jetzt gleich?«
»Ich muss aufhören. Ich rufe Sie noch mal an.«
»Hey, warten Sie …«
Doch er hat schon aufgelegt. Seine Nummer hat das Display nicht angezeigt.
Phil Springsteen. Den Namen hat sie noch nie gehört.
Sie tippt eine Nummer in ihr Handy. Pete, denkt sie, das stimmt alles nicht! Sag mir, dass das alles nicht stimmt! Doch Pete nimmt nicht ab.
Ruth Muller folgt den Klängen des Cellos und merkt, wie ihre Gedanken davonziehen. Gleichzeitig wird sie schläfrig. Es liegt nicht nur an ihrem Arbeitspensum, sondern auch an der Wärme und den vielen Parfümdüften um sie herum.
Zweifellos ist es ein beeindruckendes Haus. Schlicht und klassisch, ein Bungalow mit Glasfassade im verschneiten Garten. Die Tatsache, dass Frank Lloyd Wright es gebaut hat, hat Adam vorhin ein paar Augenblicke lang andächtig und ehrfürchtig verharren lassen, nachdem sie ausgestiegen sind. Frank Lloyd Wright kommt für Adam noch vor Gott.
Draußen schneit es wieder. Schon den ganzen Weg hierher
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