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Der Skandal (German Edition)

Der Skandal (German Edition)

Titel: Der Skandal (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fran Ray
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tief vergraben war …
    Jetzt weint er wieder, und erst ganz leise, wie aus weiter Ferne, dann immer näher und lauter hallen Milosz’ Worte in seinem Ohr: »Es sieht so aus, als hätte Detective Andersson ihn erschossen.«
    Jetzt erst bemerkt er, dass er seine Hand zur Faust geballt hat.
    »Auf Ihre Verantwortung«, hat Dr. Joffe gesagt, als Christina ihm gleich am frühen Morgen mitgeteilt hat, dass sie Jay jetzt mit nach Hause nehmen würde. »Seine Werte sind in Ordnung, aber er ist noch nicht stabil. Ich würde ihn gern noch einen Tag behalten.« Doch Christina hat Angst. Jay, das ist die Stelle, an der sie am verwundbarsten ist. Und es ist so einfach, in sein Zimmer zu gelangen und ihn zu entführen oder ihm irgendetwas zu injizieren. Vielleicht ist sie paranoid, aber das Risiko, dass etwas Schreckliches passieren könnte, will sie nicht eingehen.
    Wie er jetzt so hinter ihr im Auto sitzt, spürt sie, wie ein warmes Gefühl durch sie hindurchflutet. Immer wieder wirft sie einen Blick in den Rückspiegel und vergewissert sich, dass er auch wirklich da ist. Er kommt ihr so klein vor in dem warmen, dicken Anorak und mit der Mütze, die ihm bis tief in die Stirn reicht. Sie will ihn beschützen, immer, sein ganzes Leben lang. Sie wird alles tun, alles, damit ihm nie, nie wieder etwas zustößt. Und im selben Augenblick weiß sie, dass sie dieses Versprechen gar nicht halten kann.
    »Wir fahren zu Grandma und Grandpa«, sagt sie und bemüht sich um einen fröhlichen Ton.
    »Warum fahren wir nicht heim?«
    »Ich muss arbeiten, und Grandma ist dann bei dir.«
    Jay sieht aus dem Fenster. »Aber Grandma hätte auch zu uns kommen können.«
    Natürlich hat er recht, aber sie fürchtet sich davor, was passieren könnte, wenn er das Haus betritt. Was, wenn er einen Schock erleidet und wieder ins Krankenhaus muss?
    »Sie kann Grandpa nicht so lange allein lassen.«
    »Aber Grandpa ist doch schon alt.«
    »Genau deshalb. Außerdem gehst du doch gerne zu Grandma«, versucht sie ihn aufzumuntern.
    Er antwortet nicht, sondern sieht weiter aus dem Fenster. Wenig später hält sie vor dem zweistöckigen Haus mit der dunkelroten Holzfassade und den weiß eingefassten Fenstern. Ihre Mutter scheint gewartet zu haben, sie öffnet sofort die Tür. Sie hält eine Decke bereit, damit Jay sich auf keinen Fall erkälten kann. Manchmal ist ihre Mutter wirklich rührend.
    »Du lässt niemanden rein, okay?«, schärft Christina ihr ein. Im selben Augenblick denkt sie, dass sie Jay vielleicht doch viel weiter hätte wegbringen sollen.
    »Natürlich nicht«, erwidert ihre Mutter empört.
    Sie setzt Jay auf die Couch, er ist immer noch in Decken gehüllt, legt ihm einen Stapel DVDs auf den Schoß und gibt ihm einen Kuss. »Ich hab dir doch gesagt, dass es schön wird bei Grandma, mein Schatz.«
    »Aber du musst auch dableiben, Mom!« Jay greift nach ihrer Hand, so wie er es früher getan hat, als er laufen gelernt hat. Christina streicht über seine weichen Haare. Gleichzeitig muss sie das aufsteigende Gefühl unterdrücken, das ihr schon wieder einen Kloß in die Kehle drückt.
    »Ich hab Waffeln gemacht!«, ruft ihre Mutter aus der Küche.
    Sie zieht den süßen Duft durch die Nase ein.
    Jay lächelt ein bisschen, während er die DVDs durchsieht.
    »Waffeln hab ich dir und Tim auch immer gemacht, wenn ihr krank wart!«
    »Ja«, sagt Christina. »Tim mochte sie immer mit Kirschmarmelade und ich mit Ahornsirup.«
    »Ich komme später und hole dich ab«, sagt Christina und gibt Jay noch einen Kuss. »Sei schön lieb, ja?«
    Er nickt, ohne den Blick von den DVDs zu nehmen. Ein gutes Zeichen, sagt sie sich.
    Ihr Vater kommt aus seinem Zimmer, er nennt es sein Büro , weil er dort immer noch übers Internet mit Autoersatzteilen handelt. Er hat sich nicht rasiert und gekämmt. Seine Jogginghose ist ausgebeult und fleckig. Seit er nicht mehr aus dem Haus muss, zieht er sich manchmal den ganzen Tag nicht richtig an. Aber dass er sich nicht rasiert und kämmt, das kennt sie nicht an ihm. Es muss mit Tims Tod zu tun haben.
    »Dad, bist du okay?«, fragt sie und gibt ihm einen Kuss auf die kratzige Wange.
    »Wisst ihr schon, wer’s war?«, fragt er.
    Sie schluckt. Was soll sie ihm sagen?
    »Was ist?«, fragt er misstrauisch. Auch wenn er manchmal irgendwie abwesend wirkt, ist ihm ihr kurzes Zögern nicht entgangen. So wie früher – er war zwar selten da, aber er wusste immer, wenn sie oder Tim etwas auf dem Herzen hatten.
    »Ich hab den Mörder

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