Der Skandal (German Edition)
wahrscheinlich letzte Nacht getötet.«
Die Worte hören sich an, als hätte eine Fremde sie gesagt, und diese Fremde hätte sie jetzt festnehmen müssen …
Im Gesicht ihres Vaters erkennt sie weder Erstaunen noch Erschrecken, er nickt einfach nur, als wäre es das Selbstverständlichste von der Welt.
»War es dieser Junkie?«
»Nein, der war es ganz sicher nicht.«
»Keiner von diesen herumlungernden Schwarzen?«
Ihr Vater wird seine Vorurteile wohl niemals mehr ablegen. Dabei ist sein bester Mechaniker ein Schwarzer gewesen, Leo, mehr als fünfundzwanzig Jahre hat er in der Werkstatt Motoren repariert, darin war er ein Genie. Und er hat ihr und Tim immer Zaubertricks gezeigt, als sie noch klein waren.
»Nein, Dad. Es war ein Weißer – mit einem festen Job.«
Er nickt wieder.
»Sag nichts zu Mom.«
»Warum nicht? Sie will doch auch, dass Tims Mörder gefasst wird.«
»Auch wenn ihre Tochter dabei einen Menschen getötet hat?«
»Er hat es verdient.«
Christina sieht, dass er schluckt, und auch sie hat wieder einen Kloß im Hals. Sie hat einen Bruder gehabt, und irgendjemand hat ihn ihr einfach weggenommen.
Ihr Dad macht eine Kopfbewegung in Richtung seines Büros . Sie folgt seinem Blick und sieht das Gewehr, das an seinem Arbeitstisch lehnt. »Ist geladen, für den Fall der Fälle.«
»Dad, Jay ist hier! Wenn er …«
»Schon gut, keine Angst, der Junge wird es nicht zu Gesicht bekommen.« Er lächelt ein bisschen mit seinem zerknitterten Gesicht, aber Christina fühlt sich dadurch nicht besser.
»Ich hätte ihn euch nicht bringen dürfen. Es ist zu viel für euch.«
Wie konnte sie nur, ihre Eltern haben doch auch einen Schock, warum hat sie nicht daran gedacht? Hat sie denn geglaubt, ihre Eltern wären Übermenschen? Sie haben ihren Sohn verloren, es ist wie … wie wenn sie Jay verloren hätte.
»Dad«, fängt sie an, doch ihr Vater unterbricht sie.
»Es war das einzig Richtige.« Etwas in seiner Haltung hat sich verändert. Etwas ist zurückgekehrt, etwas, das sie früher als Kind an ihm bewundert hat. Seine ruhige Stärke, die er ausgestrahlt hat und die ihr und Tim das Gefühl vermittelt hat, sie wären beschützt. Dieses Gefühl wollte sie auch Jay geben, aber oft ist sie ungehalten gewesen, wütend, unsicher …
»Und was willst du jetzt tun?«, fragt ihr Vater. »Du hast den Mörder doch schon.«
»Man will mir was anhängen. Offenbar weiß ich zu viel …«
Er reibt sich die Nase, und in seinen Augen erkennt sie, wie er sich zusammenreißt. »Du könntest Jay nehmen und zu Marybeth nach Seattle ziehen. Wär vielleicht ’ne Möglichkeit.«
»’ne Möglichkeit – für was?«
»Für einen Neuanfang. Was ist, wenn du die anderen gefunden hast? Willst du die auch erschießen? Und was ist mit Jay?«
Darauf weiß sie keine Antwort. Sie weiß nur eins: »Ich kann jetzt nicht nach Seattle ziehen, Dad.«
Sie umarmt ihn zum Abschied. »Mom hat Waffeln gemacht …«
»Christina … wir wollen nicht auch noch dich verlieren.«
»Ihr verliert mich nicht.« Sie gibt ihm noch einen Kuss und beeilt sich, wegzukommen.
Ochs hat ein Taxi ins Büro genommen. In der Partei wissen sie anscheinend noch nicht Bescheid. Sonst hätten sie ihm einen Wagen geschickt. Er fühlt sich zerschlagen, deprimiert, so kennt er sich gar nicht.
Kaum hat er sich in seinen Sessel fallen lassen und versucht, sich einigermaßen zu fassen, da platzt Frank herein und wirft ihm die Zeitung auf den Schreibtisch. »Springsteen. Hast du was damit zu tun?«
Ochs starrt auf die Schlagzeile. Wieso haben sie ihn schon gefunden? Einen Moment lang überlegt er, so zu tun, als hätte er keine Ahnung, aber seinem Bruder kann er nichts vormachen, das sagt ihm dessen Blick.
»Tony ist tot«, sagt er, worauf Frank ihn entsetzt anstarrt.
Und dann erzählt Ochs ihm die ganze Geschichte mit Springsteen und Tony. »Milosz sagt, es war wahrscheinlich diese Polizistin.«
Frank zieht die Brauen zusammen. »Andersson?« Nachdenklich setzt sein Bruder sich in den Besuchersessel und fängt an, sich die Schläfen zu massieren.
»Es gibt keine Spur, steht da drin, also …« Ochs schiebt die Zeitung weg.
»Hast du den Verstand verloren?«
»Frank«, fängt Ochs in beschwichtigendem Ton an, »dieser Springsteen hat mir aufgelauert, nachts.«
Frank schüttelt immer wieder den Kopf.
»Es ist nun mal passiert, Frank! Wir hätten ihm gleich ordentlich was vor den Bug knallen sollen, anstatt ihm ein Angebot zu machen!«
Frank sieht ihn
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