Der Skandal (German Edition)
niemand. Der Gang führt aber auch zu den Tiefgaragen. Und genau dahin geht Muller mit ihr.
Christina dreht sich abrupt um. »Wollen Sie mir nicht sagen, was Sie vorhaben, Captain?«
»Halten Sie den Mund, Andersson!« Jetzt erkennt Christina auch die Waffe in Mullers Hand.
Sie hat keine Ahnung, was Muller vorhat, aber immerhin ist sie aus der verdammten Zelle raus. Muller zieht die schwere Eisentür zu den Tiefgaragen auf. Neonlichter springen an wie Kaskaden und lassen die Karosserien aufblitzen.
»Dahinten!« Mullers Worte hallen von den Betonwänden wider.
»Captain! Bleiben Sie sofort stehen!«
Christina und Muller fahren herum.
Stan Milosz steht da, klein, breitbeinig – und mit einer Pistole. »Ich habe mich schon gewundert, was Sie nachts hier tun, Muller! Ich habe mich also nicht geirrt! Sie und Andersson machen hinter meinem Rücken gemeinsame Sache! Das war’s für sie beide!«
Der Schuss explodiert mit einem ohrenbetäubenden Knall. Milosz stürzt rückwärts gegen einen Betonpfeiler und rutscht, eine Blutspur hinterlassend, langsam zu Boden.
Christina hat sich reflexartig geduckt, doch Muller zieht sie schon weiter – weg von dem toten Milosz.
»Los, weiter, Andersson!« Muller hat die Waffe jetzt auf sie gerichtet.
Taumelnd folgt Christina ihr zu einem glänzenden schwarzen Chevy. Muller lässt die Schlösser per Fernbedienung aufspringen.
»Sie haben gerade den Chief erschossen!«, bringt Christina endlich heraus.
»Er hat es verdient!«, sagt Muller nur, und ihre Augen flackern.
»Verdammt, Sie hätten ihn anzeigen können, wir waren dabei, alles aufzudecken!«, brüllt Christina.
Muller macht die Beifahrertür auf. »Steigen Sie ein, Andersson!«
Christina bleibt stehen. »Nennen Sie mir einen Grund, Captain, warum ich das tun sollte.«
»Sofort!« Muller richtet die Pistole auf sie.
»Wollen Sie mich auf der Flucht erschießen, weil ich zu viel weiß?«
Mullers Lachen klingt schrill. »Sie wissen gar nichts, Andersson! Und jetzt steigen Sie endlich ein!«
Christina weiß, Muller würde abdrücken – und deshalb steigt sie ein.
Muller setzt sich hinters Steuer und fährt mit quietschenden Reifen los. Christina bemerkt, dass Mullers Hände zittern.
Muller sagt immer noch nichts, während sie aus der Tiefgarage schießt, rote Ampeln überfährt und noch einmal schneller wird, als sie auf die Interstate einbiegt.
»Machen Sie das Handschuhfach auf!«, sagt Muller plötzlich.
Zögernd gehorcht Christina – und sieht ihre eigene Dienstwaffe dort liegen.
»Nehmen Sie sie. Sie brauchen nicht nachzusehen. Sie ist geladen«, sagt Muller und beschleunigt wieder.
Christina lässt trotzdem das Magazin herausgleiten und schiebt es wieder ein. »Wollen Sie damit meinen Fluchtversuch glaubhafter machen?«
Muller scheint sie gar nicht zu hören, ihr Blick ist starr auf die Straße gerichtet, sie schießt in halsbrecherischer Geschwindigkeit zwischen den Autos hindurch.
»Captain«, fragt Christina, »was machen wir hier? Ziehen wir allein was durch?«
»Was, Andersson?«, fährt Muller sie an. » Sie ziehen die ganze Zeit allein was durch, und jetzt kriegen Sie kalte Füße?« Muller sieht kurz zu ihr herüber. Christina begreift sofort, dass Muller nicht mit sich reden lässt.
»Ich weiß jetzt, wie alles zusammenhängt«, sagt Muller irgendwann, »der Mord an Ihrem Bruder, der an Whitner, an Springsteen – und der an …« Sie bricht ab.
»An wem noch, Captain?«
Muller antwortet nicht, sondern beschleunigt auf der endlich freien Spur, und Christina wird in den Sitz gedrückt.
Das Ganze wird sich als Albtraum herausstellen, hat Muller am Anfang noch gedacht, als eine durch ein Trauma ausgelöste Wahnvorstellung, ganz sicher. Es kann nicht wirklich sein! Immer wieder und jedes Mal detaillierter hat das Szenario sich in Mullers Kopf abgespielt, bis sie sogar die Augenfarbe des einen Officers gesehen und den Geruch des anderen nach Rauch in der Nase hat:
Sie kommen in ihr Büro, als sie gerade die Akte gegen Ochs zusammenstellt. Ihr eigenes Foto hat sie an ihre Prinzipien erinnert, und sie ist zurück ins Präsidium gefahren.
»Captain – die Kollegen von der Streife …«, fängt der eine an, der nach Zigarettenrauch riecht.
»Ja?«
»Es ist etwas … mit Ihrem Wagen …«, ergänzt sein Kollege.
»Mit meinem Wagen?«, fragt sie. »Das muss ein Irrtum sein. Er steht zu Hause in der Garage.«
»Und wie sind Sie heute Nacht hergekommen?«
»Ich hatte was getrunken … und
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