Der Skandal (German Edition)
Tim nicht mehr lebt!« Er schüttelt wieder den Kopf. »Ich weiß noch, wie wir versucht haben, Tim unter die Haube zu bringen, und wie die Mädchen ihm immer nur von ihrem Liebeskummer erzählt haben! Erinnerst du dich, Chris?« Er lacht auf, wird aber sofort wieder ernst, als hätte er gemerkt, dass das jetzt unpassend ist. »Was ist das nur für eine Welt? Da spaziert einfach einer in dein Haus und erschießt dich …«
Jemand rempelt ihn an und drückt ihn wieder gegen sie. »Komm, wir müssen hier raus!« Schon schiebt er sie Richtung Ausgang.
»Leidest du neuerdings unter Platzangst?« Ihr fallen die Schweißperlen auf seiner Stirn auf, und sie erinnert sich, dass er früher nie Probleme hatte in vollen Sportstadien, in die er sie an den Wochenenden geschleppt hat – wenn sie nicht gerade Fossilien gesucht haben.
»Nein, nein, es ist nur … He, lass uns einfach verschwinden.«
Als sie endlich draußen sind, kann sie hören, wie er aufatmet.
»Tut mir leid«, er schluckt nervös, »aber das war mir einfach zu viel da drin.« Er greift sich an die Stirn, bemerkt die Schweißperlen und wischt sie mit einem Taschentuch ab. »Ich bin … ehrlich geschockt. Wir haben uns aus den Augen verloren. Ich hab Tim … ein paarmal zufällig auf Veranstaltungen getroffen. Du weißt doch, Sandra und ihre Eltern legen viel Wert auf soziale Events.« Sein Handy klingelt, er zuckt mit den Schultern und wirft einen Blick aufs Display. »Entschuldige, ich muss drangehen. Wir erwarten ein Baby.«
»Ich muss sowieso los.« Sie will sich nicht auch noch anhören, was er mit seiner Frau bespricht.
Er hält das Telefon ans Ohr und gibt Christina zu verstehen, dass sie warten soll. »Sandra? Alles okay?«
Sandra! Der Name ruft in Christina immer noch schlechte Erinnerungen hervor. Die Heirat mit Sandra war für Pete eine »gute Partie«, wie Christinas Mutter damals gesagt hat. Ihre Familie lebt schon seit mehr als hundert Jahren in der Gegend. Sie ist Mitglied in den wichtigsten Clubs. Und wohlhabend ist sie auch. Etwas, das Pete nie war.
»Ich denk dran«, sagt er ins Telefon. »Ich ruf dich später zurück, Honey … keine Sorge. Ja … ich dich auch.«
Als er das Handy zuklappt, wirkt er erleichtert. »Sorry, aber Sandra hat eine Fehlgeburt hinter sich, und jetzt ist sie ziemlich nervös, dass es diesmal klappt.« Er lächelt entschuldigend. »Und ihr Vater macht sie noch ganz verrückt. Er kann’s kaum erwarten, dass endlich ein Enkel da ist.«
Christina erinnert sich, dass ihre Mutter ihr damals dauernd in den Ohren gelegen hat, sie soll Pete die Wahrheit sagen. Sie hat sich dagegenentschieden.
»Pete, ich muss jetzt los.« Sie hat genug von Pete und seinen Problemen. Außerdem sollte sie längst wieder auf dem Weg zu Jay sein.
»Ja, ja, ich weiß, in die Klinik«, sagt er rasch. »Kann ich dich irgendwohin mitnehmen?«
»Mein Wagen steht da vorn.«
»Ja, okay, also, wenn … wenn ich was für dich tun kann oder wenn es Neuigkeiten gibt … dann gib mir Bescheid, ja? Und ich hoffe, dass … Jay … wieder ganz gesund wird.« Er sieht auf die Uhr und hat es plötzlich eilig. Er steigt in seinen Wagen, winkt noch flüchtig und fährt davon. Ausgerechnet Pete Kondracki muss ihr heute begegnen. Acht Jahre ist das jetzt her. Sie hat sich interessiert für den angehenden Wissenschaftler, weil er so ganz anders war als die Typen, mit denen sie damals ausging: ruhig und zurückhaltend. Meistens hat er ihr die Entscheidungen überlassen. Das hat ihr gefallen, sie hat das als souverän und selbstsicher interpretiert, bis sie irgendwann gemerkt hat, dass er gar keine Prinzipien hatte, nach denen er entschied. In gewissem Sinne war er orientierungslos. Und dass er sie schließlich wegen Sandra Rustand aus vermögendem Elternhaus verlassen hat, war Beweis genug. Trotzdem, denkt sie, als sie losfährt, trotzdem ist sie ganz durcheinander, weil sie ihn wiedergesehen hat.
Carl H. Ochs kennt die Spielregeln, er ist schon lange genug im Geschäft.
Das Bürogebäude von Polycorp Minerals im Westen von Milwaukee liegt mitten auf einem fast leeren, von schmutzigen Schneehaufen begrenzten Parkplatz.
Ochs fährt neben den silberfarbenen Jaguar am Eingang, steigt aus und klingelt. Er wird erwartet, denn die Tür öffnet sich, ohne dass nach seinem Namen gefragt wird. Der Aufzug bringt ihn in die oberste Etage.
Die Türen öffnen sich, und er tritt in einen großzügigen Vorraum mit einem tiefblauen Teppich. Charles Frenette kommt ihm
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