Der Skandal (German Edition)
seinem Handy. Polycorp liest er auf dem Display. Während er die nächste Ausfahrt zurück nach Milwaukee nimmt, überlegt er. Was will Charles Frenette so dringend von ihm?
Es ist so etwas wie der Wunsch nach Normalität, der Christina, bevor sie zurückfährt in die Klinik, bei Starbucks anhalten lässt. Zweimal die Woche holt sie sich da ihren Kaffee. Manchmal auch öfter. Und sie wechselt immer ein paar Worte mit Alice, der netten Bedienung.
»Hi Christina!«
Alice braucht nichts zu sagen, Christina erkennt an ihrem Gesichtsausdruck, dass sie Bescheid weiß. Und sie sieht es an ihrem Blick, als sie ihr den Caffè Latte auf die Theke stellt.
»Es tut mir leid«, sagt Alice dann doch. Die rot geschminkten Lippen in dem runden Gesicht sind ein Blickfang, das weiß Alice, deshalb vergisst sie auch nie den Lippenstift. »Man ist nirgendwo mehr sicher!«
Christina nickt und will gehen. Sie fühlt sich so leer und so müde. Sie dreht sich um – und stutzt. Ein Mann am Ende der Schlange winkt ihr zu, und Christina braucht einen Moment, um zu begreifen, wer er ist. Pete. Seine Haare sind grau geworden, er trägt sie kürzer als damals, als sie ihn zum letzten Mal getroffen hat. Merkwürdig, sie hat geglaubt, es ist vorbei, er muss ihr nach so vielen Jahren fremd geworden sein. Er sieht gut aus, muss sie zugeben, besser als vor acht Jahren.
Sie sieht, wie er sich an mehreren Kunden vorbeidrückt. Sie will unsichtbar werden und verschwinden, sie müsste ihm etwas erklären – aber es ist zu spät.
»Christina!« Er sieht sie erstaunt an. »Was machst du denn hier?«
In seine Stirn haben sich Falten gegraben. Er hatte schon immer etwas Grüblerisches, es ist kräftiger geworden, aber es steht ihm gut. Das macht ihn seriöser, denkt sie. Früher ist er für viele nur ein verträumter Spinner gewesen, der an den Wochenenden Fossilien sucht, anstatt Freunde zu treffen.
Wortlos hebt sie ihren Kaffeebecher hoch.
»Ja, klar …« Er lächelt flüchtig. »Was macht man denn sonst hier?« Die Grübchen in seinen Wangen und in seinem Kinn sind noch da – natürlich, warum auch nicht?
Plötzlich wird er ernst. »Ich hab es heute Morgen gehört. Christina, es tut mir so leid! Es ist schrecklich! Ich kann es gar nicht glauben! Wieso Tim?«
»Das fragen sich alle.«
Er schüttelt den Kopf. »Und du hast ihn gefunden? Mein Gott, Christina … Es muss furchtbar für dich gewesen sein. Und Jay?«
»Er liegt auf der Intensiv, ich muss auch gleich wieder los, aber … Was machst du hier?«
»Ich wollte nur einen Kaffee«, sagt er, während jemand sich zwischen ihnen hindurchschiebt. »Komm, lass uns woanders hingehen.«
»Pete, ich muss …«
»Ich war gerade in der Nähe«, sagt er und weicht einem Kunden mit einem Tablett aus. »Tim … Ich kann es nicht fassen, und was ist mit Jay? Er liegt auf der Intensiv? Warum?«
»Sie haben ihn ins künstliche Koma …« Hinter ihr schiebt sich jemand vorbei und drängt sie zu ihm. Sie will nicht alles erzählen und womöglich wieder anfangen zu weinen, sie hat sich gerade einigermaßen im Griff. Daher sagt sie nur: »Lungensteckschuss.«
Er seufzt tief und reibt sich die Augen. »Der arme Junge! Wie schlimm ist es, was sagen die Ärzte?«
»Sie hoffen … Wir hoffen alle …«
»Und, hat die Polizei schon eine Spur?« Er macht ein paar Schritte in eine ruhigere Ecke.
Notgedrungen folgt sie ihm. »Es wird ermittelt, mehr kann ich nicht sagen.« Sie trinkt einen Schluck und spürt, wie ihr die heiße Flüssigkeit in den Magen rinnt und sie wärmt. Warum muss er ausgerechnet heute hier sein? Warum erst heute? Wo war er, verflucht noch mal, all die Jahre? Unter dem dunklen Mantel trägt er ein weißes Hemd, seine Kleidung sieht teuer aus, sein Haarschnitt war es sicher auch – genau: Sandra …
»Es gibt doch bestimmt schon einen Verdacht«, spricht er weiter, »ich meine, war es ein Einbruch?« Er wird unsanft gegen Christina geschubst, dabei spritzt Kaffee auf seinen Mantel. »Shit!« Rasch reibt er ihn mit einer Papierserviette ab.
»Nein. Der Täter hatte die Absicht, jemanden zu töten«, sagt sie, dabei weiß sie doch, dass sie keine Details erzählen sollte.
»Meinst du, es war ein Rachefeldzug gegen dich als Polizistin? Ich hab in der Zeitung gelesen, dass du den Mörder der kleinen …«
Sie hebt die Hand. »Sorry, Pete, ich darf nichts sagen.«
»Ich bitte dich, Christina, Tim war auch mein Freund!«
»Ich weiß, Pete.«
»Ich kann es einfach nicht fassen, dass
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