Der Skandal (German Edition)
Adam Muller strahlt Autorität aus, sogar Charisma. Ein echter Frauentyp, denkt Christina und fragt sich, ob Ruth Muller Eifersucht kennt. »Mein aufrichtiges Beileid zu Ihrem Verlust. Ich hoffe, Ihrem Sohn geht es besser.«
»Adam, willst du Detective Andersson nicht dein Projekt vorstellen?«, fragt Muller.
»Was meinen Sie, Detective Andersson?« Er bietet ihr seinen Arm.
»Ja, gern.« Christina hat keine Ahnung, was Muller bezweckt. Ob sie überhaupt etwas bezweckt? Oder will sie sie nur ablenken … von etwas wirklich Wichtigem?, grübelt sie, während Adam Muller sie zwischen den Grüppchen hindurchnavigiert und ab und zu freundlich grüßt.
»Meine Frau hat mir erzählt, Sie wären kürzlich oben am Lake Superior gewesen«, sagt er.
Bevor sie etwas antworten kann, bleiben sie vor einer Projektionswand stehen, auf der mitten in einem dichten Wald ein futuristisch aussehendes Gebäude zu erkennen ist, das virtuos von einer Kamera um-und überflogen wird.
»Das ist unser Projekt«, sagt Adam Muller mit einem gewissen Stolz in der Stimme, »der Think Tank von Polycorp Minerals bei Ashland.«
Christina braucht ein paar Sekunden, um zu begreifen, was er gerade gesagt hat.
»Vielleicht haben Sie mitbekommen«, fährt er fort, »dass dort eine Mine wieder eröffnet wurde. Seltene Erden, sagt Ihnen das was? Aber ich will Sie nicht mit technischen Dingen langweilen …«
»Sie langweilen mich überhaupt nicht!«, sagt sie schnell.
»Wirklich nicht?«
»Nein, wirklich nicht. Bitte, erzählen Sie weiter!«
Er räuspert sich. »Gut. Man braucht dieses Neodym zum Beispiel für Magnete von Windrädern. Aber auch für viele moderne, zukunftsweisende Technologien. Deshalb hat Polycorp einen Think Tank in Auftrag gegeben. Hier sollen neue Ideen entwickelt werden, die unsere Welt revolutionieren. Sehen Sie sich ihn an! Woran denken Sie dabei?«
An Pete? An das Motel? An den Schneesturm? Schließlich sagt sie: »Sieht aus wie ein Blockhaus-Spaceshuttle.«
Er lacht. »Fantastisch!«
Wie peinlich! »Ich meine …«
»Nein, nein, es ist eine perfekte Beschreibung! Warten Sie!« Er blickt über ihre Schulter hinweg. »Charles! Kommen Sie doch mal her!«
Sie dreht sich um und sieht einen hochgewachsenen, schlanken Mann, die Hand lässig in der Hosentasche seines dunklen Anzugs, näher kommen, ein gewinnendes Lächeln auf dem Gesicht. Christina schätzt ihn auf Anfang fünfzig.
»Das ist Mrs. Andersson«, stellt Adam Muller vor, » Detective Andersson – aber heute ist sie privat hier, und das ist unser Auftraggeber, Charles Frenette von Polycorp Minerals. «
Christina blickt in ein markantes gebräuntes Gesicht. Die Augen erinnern sie an Gletscher und an eisblauen Himmel. Obwohl er lächelt, geht etwas Abweisendes von ihm aus.
»Mrs. Andersson hat mit einem Blick die Absicht hinter unserem Think Tank durchschaut«, sagt Muller.
Frenette betrachtet sie mit einer Mischung aus Skepsis und Neugier. Sie zuckt mit den Schultern.
»Blockhaus-Spaceshuttle!« wiederholt Muller amüsiert.
»Wissen Sie«, sagt er zu Christina, »genau das haben wir beabsichtigt, nicht wahr, Charles? Eine harmonische organische Symbiose von Technologie und Natur.« Muller zeichnet mit den Händen ein fiktives Schild in die Luft. Blockhaus Space Shuttle .
»Adam, wir sollten Mrs. Andersson nicht mit technischen Details langweilen.« Frenette spricht sehr präzise und akzentuiert.
Christina will etwas sagen, doch Muller kommt ihr zuvor: »Polizisten interessieren sich für alles, sagt meine Frau immer, richtig, Detective?« Was den Charme angeht, ist Muller Frenette deutlich überlegen.
»Da muss ich ihr recht geben«, sagt Christina. In diesem Fall interessiere ich mich erst recht für alles, denkt sie, sagt es aber nicht, sondern fragt: »Wie stehen denn die Umweltschützer zu dem Projekt?«
Hat Frenettes Mundwinkel gezuckt? »Das Besondere an Seltenen Erden ist, dass sie in der Gunst der Umweltschützer viel weiter oben stehen als die altmodischen Erze«, sagt er mit einem Seitenblick auf Muller.
Der lacht amüsiert.
»Doch, Adam!« Frenette sieht Muller an, der nickt und sofort wieder ernst ist.
»Ja, sicher, Charles! Außerdem bieten wir ja den Think Tank . Der verspricht Nachhaltigkeit durch Innovation.«
Frenette scheint zufrieden zu sein und wendet sich wieder Christina zu. »Techniken, die man zur Gewinnung nachhaltiger Energien benötigt, sind ohne Neodym oder Cern oder wie sie alle heißen heute nicht vorstellbar – und
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