Der Skandal (German Edition)
schnell hat sie bekommen, was sie wollte, denkt Christina.
»Moment noch, Captain. Warum haben Sie mich heute Abend eingeladen?«
Muller wirkt erstaunt.
»Das habe ich doch gesagt. Ich dachte, Sie bräuchten Ablenkung.«
»Sie haben das geplant. Sie wussten das mit dem Deal, Sie wussten das mit den Razzien …«
»Sie täuschen sich! Dass Alex mit Drogen dealt, habe ich erst heute Abend von meinem Mann erfahren.«
»Warum also?« Christina wartet auf eine Antwort.
Muller schließt die Tür wieder. »Eigentlich hätte ich Sie nach Ihrem Ausflug suspendieren müssen«, fängt Muller an. »Aber Sie sind ein sehr guter Detective …« Sie spricht nicht weiter.
»Was wissen Sie über den Mord?«, fragt Christina in scharfem Ton.
»Im Moment noch weniger als Sie, Andersson.«
»Sie glauben also auch nicht an diesen Rizal?«
Muller holt nur Luft, sagt aber nichts.
»Warum heben Sie nicht einfach meine Beurlaubung wieder auf und lassen mich mitermitteln?«
Muller zögert. »Mir sind die Hände gebunden. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen.«
Christina wartet, aber Muller schweigt.
»Wenn ich das mit Big Dee hinkriege«, sagt Christina schließlich, »sind Sie mir was schuldig.«
Ohne zu antworten, macht Muller wieder die Tür auf. »Sie sollten jetzt Big Dee anrufen. Ich hab Ihnen ein Foto von Alex aufs Handy geschickt.«
Christina sieht ihr nach, wie sie den Gang zurück zu dem hell erleuchteten Raum hinuntergeht. Dann blickt sie auf ihr Handy. Vor fünfzehn Minuten hat Muller ihr das Foto von ihrem Sohn geschickt. Da war sie noch im Gespräch mit Frenette … Muller hat zu diesem Zeitpunkt schon gewusst, dass sie nicht Nein sagen würde …
Sie hat Big Dee auf seiner geheimen Hotline, die er ihr damals anvertraut hat, sofort am Telefon, und sie erklärt ihm, dass Muller dem Deal zugestimmt hat.
»In vierzig Minuten. Es ist die letzte Razzia. Danach wirst du in Ruhe gelassen.«
»Ist das hundertprozentig?«
»Ja, aber nur, wenn du einen bestimmten Typen unauffällig aus einem deiner Clubs rausschleust. Ich schick dir ein Foto aufs Handy.«
»Was hat er gemacht?«
»Er vertickert Stoff.«
»Motherfucker!«
»Easy, Big Dee. Seine Mutter wird dir ewige Freundschaft anbieten.«
»Hey … Seine Mutter ist doch nicht …«
»Big Dee, ich verlasse mich auf dich.«
Sie steht wieder in dem großen Raum, der ihr jetzt noch voller und lauter vorkommt. Muller wirft ihr einen fragenden Blick zu. Sie beantwortet ihn mit einem unauffälligen Nicken, dann geht sie.
Kaum sitzt sie im Auto, ruft Big Dee an.
»Sister! Was soll die Scheiße? Die Scheißrazzien haben schon angefangen. Aber der kleine Scheißer hat wohl Glück gehabt. Deine Leute haben nichts bei ihm gefunden. Die Absprache gilt trotzdem. Keine Razzien mehr!«
»Du hast ihr Wort.«
»Du weißt, was Big Dee mit Leuten macht, die ihn anlügen.«
»Allerdings.«
Anschließend sagt sie Muller Bescheid, dass ihr Sohn in Sicherheit ist – und dass Brewer sich ganz offensichtlich über ihre Absprache hinweggesetzt hat.
Sie schaltet das Radio ein und fährt langsam aus der Tiefgarage.
»Und das Tier ward ergriffen und mit ihm der Lügenprophet, der vor ihm die Wunderzeichen gewirkt hatte, womit er die verführt, die das Malzeichen des Tieres angenommen und sein Bild angebetet hatten. Lebendig wurden sie beide in den Feuerpfuhl geworfen, der von Schwefel brennt. Und die Übrigen wurden mit dem Schwerte getötet …«
Unglaublich, wie viele Radiosender diesen Mist verbreiten, denkt Christina, während sie durch die nächtliche Stadt fährt. Christina schaltet das Radio wieder aus.
Plötzlich horcht sie auf. Was ist das für ein Geräusch? Ein Schleifen und Klacken, seltsam, ist es gerade erst aufgetaucht? Oder hat sie es wegen des Radios nicht gehört? Auf einmal klappert etwas, es ist mehr ein Klacken … Sie fährt an den Randstein, hält an und steigt aus. Irgendetwas ist mit den Reifen … Sie geht um die Kühlerhaube herum auf die andere Seite. Nein, sie hat sich nicht getäuscht: Der linke vordere Reifen ist platt.
Jetzt steht sie in ihrer luftigen Abendgarderobe auf dem breiten Third Ward, ringsum nur Schneehaufen, leer stehende Fabrikgebäude und verwahrloste, verlassene Häuser. Es hat schon wieder angefangen zu schneien.
Ein Stück die Straße hinauf schimmert ein grünes Licht, sie glaubt sich zu erinnern, dass es zu einer Tankstelle gehört.
Fluchend steigt sie wieder ein und wühlt in der Handtasche nach ihrem Handy. Ein Uhr achtzehn. Sie
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