Der Skandal (German Edition)
du keine Angst vor dem Tod?«
»Hal, warum müssen wir so was jetzt besprechen?«
»Warum nicht jetzt? Sag mir, hast du keine Angst vor dem Tod? Davor, dass du für deine Sünden bestraft wirst?«
»Nein. Ich versuche mein Leben zu leben, so gut wie ich kann. Nach bestem Wissen und Gewissen. Und wenn ich was falsch mache, dann … dann versuche ich, es wieder richtig zu machen, irgendwie.«
»Vor Gott?«
»Vor dem Menschen, dem ich vielleicht unrecht getan habe, dem gegenüber ich zu hart gewesen bin. Zum Beispiel.«
»Und bittest du Gott denn nicht um Vergebung?«
»Hal, wohin soll das führen?«
»Sag schon, bittest du Gott nicht um Vergebung?«
Sie seufzt. »Manchmal. Aber …«
»Aber was?«
»Mir ist der Mensch näher. Komm«, sie legt ihre Hand auf seine, »wir wollen uns doch nicht den Abend verderben!«
»Du hast recht.« Er versucht zu lächeln.
»Ich mache mir manchmal Sorgen um dich, Hal«, sagt Katie. Sie nimmt den Braten aus dem Backofen und pinselt ihn ein. Der Geruch zieht durch das ganze Haus. Hal hat Hunger. Und er mag Katies Braten.
»Um mich?« Er sieht sie an, wie sie den Braten wieder in den Ofen schiebt und sich umsieht. »Gibt’s noch einen Hal hier? Ich seh keinen anderen.«
»Ach Katie, dein Braten riecht wunderbar. Wie lange dauert’s noch?«
»Lenk nicht vom Thema ab.« Sie steht vor ihm und betrachtet ihn mit schief gelegtem Kopf. »Du arbeitest zu viel. Du siehst müde aus.«
»Ich arbeite nicht mehr als sonst.«
»Dann war sonst eben auch zu viel. Du musst mehr auf dich achten, fünfundfünfzig ist ein kritisches Alter. Da kriegen viele Männer ’nen Herzinfarkt.«
»Mir geht’s prima.« Er steht auf. »Und ich bin nicht einer von deinen Patienten.«
»Gott sei Dank nicht. Und das soll auch so bleiben.«
Er legt die Arme um ihren Körper, der sich drall und fest anfühlt, und gibt ihr einen Kuss in die Halsbeuge. Aber irgendetwas ist anders. Als wäre plötzlich eine Folie zwischen ihnen, eine durchsichtige dünne Folie, die sie voneinander trennt. Vielleicht hat sie recht, denkt er, und ich bin einfach nur überarbeitet.
»Du musst was gegen deine Schlafstörungen tun, Hal. Wenn man nicht schläft, kann der Körper sich nicht regenerieren.«
»Heute schlaf ich bestimmt gut!« Er küsst sie noch einmal, in der Hoffnung, dass es sich wieder so anfühlt wie früher. Aber die Folie ist immer noch da.
Er setzt sich an den Tisch und trinkt ein Bier. Die Fahnenmasten sind ihm aufgefallen. Sie wurden schon mal vorsorglich hingestellt, damit irgendwann der Union Jack neben der Fahne von Polycorp Minerals im Wind wehen kann. Er hat sich an dem rechten Mast festgehalten, als er auf einer eisigen Stelle ausgerutscht ist. Zuerst hat er gedacht, es ist der Wind, aber es war windstill – und trotzdem hat der Mast vibriert. Daraufhin hat er den anderen berührt. Beide haben vibriert, als wären sie an einer Stromquelle angeschlossen. Er hat Frenette Bescheid gesagt und eine Messung in der Mine vorgeschlagen. Das, was Frenette erwidert hat, klingt ihm noch im Ohr. »Es schadet wohl keiner Fahne, wenn ihr Mast ein bisschen mitschwingt.«
Er überlegt, ob er ihr das sagen soll und ob er ihr auch von seinem Experiment erzählen soll, das er im Schuppen angefangen hat, da sagt sie:
»Hast du mal über die Sache mit dem Haus nachgedacht?«
»Mit welchem Haus?«
»Mit Angelas Haus!« In ihrem Blick erkennt er eine leichte Ungeduld.
»Ach so, ja, ja, hab ich«, sagt er schnell.
»Und?«
»Ich meine, wir sollten es so lassen, wie es ist.«
Sie dreht ihm den Rücken zu. Ablehnung.
»Ich meine, wir sollten nichts überstürzen«, probiert er es noch einmal, doch dann bleibt er stecken. Wie soll er ihr begreiflich machen, dass er Angst hat vor Versprechungen. Und vor dieser Folie. Vielleicht spürt sie die ja nicht …
Sie dreht sich wieder um und beugt sich zu ihm herunter. Ihr Gesicht ist jetzt ganz nah. »Hör zu, Hal Harpole: Wir sind beide nicht mehr die Jüngsten. Und wer weiß, wie lange wir noch leben. Und von Überstürzen kann überhaupt nicht die Rede sein. Ich denke nur, es wäre eine Chance, unser Leben zu ändern.« Sie wischt ihre Hände an einem Küchenhandtuch ab. »Vorausgesetzt, du willst dein Leben überhaupt ändern. Ich jedenfalls hab das Alleinsein satt. Ich hasse es, allein einzuschlafen, allein zu essen, Selbstgespräche zu führen und nur bei der Arbeit Ansprache zu haben. Ich will mein Leben mit einem Menschen teilen. Und du, mein Lieber, habe ich
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