Der Skandal (German Edition)
gealtert.
»Mein Gott, ich hab gedacht …« Tanas Stimme zittert. »Hast du auch was abbekommen?«
»Ach das?« Christina erinnert sich an ihr zerschundenes Gesicht. »Das war eine andere Sache.«
»Oh, Chris …« Tana schüttelt den Kopf. »Ich hab fürchterliche Angst seit der Sache, ich meine, es ist doch nur ein paar Häuser von uns weg passiert, sozusagen nebenan, nicht wahr?«
»Ja, und trotzdem hat niemand was gesehen.«
Tanas Mundwinkel zucken. »Aber … wie geht es Jay?« Sie dreht sich zum Rücksitz um, wo Amy sitzt. »Amy, nicht wahr, du willst doch auch wissen, wie es Jay geht.«
»Hi Amy«, sagt Christina zu Jays Freundin.
»Hi«, gibt Amy zurück, ohne von ihrem Nintendo aufzusehen.
Jay hat Amy immer zum Geburtstag eingeladen, und Tana hat Jay oft an den Wochenenden zu Schulwettkämpfen mitgenommen, wenn Christina mal wieder Dienst hatte. Aber auch das liegt so lange zurück, als würde es zu einem anderen Leben gehören.
»Ich hab ihr alles erzählt«, sagt Tana, »warum sollte ich lügen?«
Es ist Christina egal, was Tana ihrer Tochter zumutet. Sie sagt: »Der Schuss ging in die Lunge. Jetzt hat er auch noch eine Lungenentzündung bekommen. Und in seinem Zustand ist das nicht ungefährlich.« Sie gibt sich Mühe, sachlich zu klingen.
»Dann können wir ihn jetzt nicht besuchen, oder? Amy würde ihn so gern sehen. Stimmt’s Amy?«
Amy nickt. Trotz ihrer sieben Jahre hat sie etwas Erwachsenes. Sie ist ganz anders als Jay, viel ernster und vernünftiger. Und wenn sie mit lauter, fester Stimme spricht, blickt sie einem direkt in die Augen.
»Tut mir leid, Amy«, sagt Christina. »Du kannst Jay jetzt nicht besuchen. Er ist sehr krank. Jay muss sich jetzt ausruhen. Aber ich sage ihm, dass du an ihn denkst.«
Amy nickt wieder. Christina hat den Eindruck, dass sie noch etwas sagen will, aber sie beschäftigt sich wieder mit ihrem Nintendo. Wie sehr hat sie das an Jay genervt! Jetzt wäre sie glücklich, wenn er wieder mit diesem Ding spielen würde!
In Tanas Augen stehen Tränen. »Ich hab Tim an dem Abend ja sogar noch gesehen. Und dann hör ich, dass er ermordet worden ist! Unfassbar!«
Christina ist sich nicht sicher, ob sie Tana richtig verstanden hat. »Du hast ihn gesehen? Wann?«
»Ich hab gedacht, du wüsstest längst …« Tana wischt sich rasch über die Augen und zieht leise die Nase hoch.
»Bitte, Tana, mal der Reihe nach! Wann hast du Tim gesehen?« Auf einmal ist sie hellwach.
Tana denkt nach. »So gegen acht. Ich war an dem Abend mit Amy beim Kieferorthopäden, und danach haben wir noch meine Schwägerin besucht. Sie hat gerade ein Baby … Aber das ist ja jetzt unwichtig. Als wir die Straße hochfahren, hält ein Wagen vor eurem Grundstück. Ich denke noch, das ist aber gar nicht Christinas Wagen. Als ich bei uns aussteige, sehe ich, wie ein Kollege von dir zur Haustür geht und klingelt. Kurz darauf kommt Tim heraus.«
»Welcher Kollege? Aaron? Du kennst Aaron von meiner Geburtstagsparty …« Doch da fällt ihr ein, dass Aaron ja in der Bar war, zusammen mit ihr und Rob und Ed und Gary.
»Nein, Aaron war das nicht.« Tana schüttelt den Kopf.
»Wer dann? Du kennst doch sonst niemanden, wieso wusstest du, dass es ein Kollege ist?«
Tana wirft einen Blick zu Amy, doch die ist weiter in ihren Nintendo versunken.
»Na ja«, räumt Tana ein, »er ist wahrscheinlich nicht bei der Mordkommission, weil er eine Uniform getragen hat, aber …«
Christina hakt nach: »Moment … Du hast geglaubt, es war ein Kollege, aber nicht von der Mordkommission, weil er eine … Uniform getragen hat?«
»Na ja, es war so ein schwarzer Blouson und dazu eine schwarze Hose … »Tana nickt.
»Kannst du den Typen beschreiben? Weißt du noch, wie er aussah, ich meine, außer der Uniform?«
»Ich hab ihn nicht richtig gesehen, es war ja schon dunkel. Ich weiß nur, dass er ziemlich groß und kräftig war, ich glaube, er war weiß.«
»Tana, hast du sonst noch jemandem davon erzählt?«
»Nein! Das heißt, doch, Kevin natürlich.«
»Was hast du sonst noch gesehen?«, fragt Christina weiter.
Tana sieht nach vorn durch die Windschutzscheibe und nagt an ihrer Unterlippe. »Er ist aus einem normalen Auto ausgestiegen«, sagt sie schließlich. »Es war kein Streifenwagen, und ich dachte noch, ach, der hat sicher auch Feierabend, vielleicht schaut er bei Christina vorbei.« Sie lässt das Lenkrad los und presst ihre Finger gegen die Schläfen. »Mein Gott, fast wär ich sogar noch
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