Der Sklave von Midkemia
Falls ihnen auf Seiten der Minwanabi Kommandeur Irrilandi gegenüberstand, konnte Keyoke davon ausgehen, daß in jeder Felsspalte Bogenschützen verborgen waren, um einen Gegenangriff zunichte zu machen – es war eine von Irrilandis vorhersehbareren Strategien, immer auf einen Gegenschlag vorbereitet zu sein. War es erst einmal hell, konnten seine Bogenschützen blind in die Schlucht hinabschießen. Die meisten Pfeile würden zwar keinen Schaden anrichten, doch einige konnten zufällig ihr Ziel finden. Genausoviel Sorgen machte ihm der Vorrat an Heilkräutern und Salben. Die Wagen hatten nur wenig Versorgungsmaterial mitgenommen, und unter seinen Männern befand sich kein einziger Heiler.
Der Angriff kam, als sich der Himmel im Osten jadegrün färbte. Mit einem lauten Schlachtruf, der die Stille zerriß, rückte die erste Welle der Minwanabi-Soldaten gegen die notdürftige Barrikade vor. Es konnten immer nur vier Männer nebeneinander durch den Engpaß zwischen den Felsen angreifen, und bei ihren Versuchen, die Brustwehr zu erklimmen, fanden die Soldaten einen schnellen Tod unter den Schwertern und Speeren der Acoma. Dennoch drängten die Feinde immer weiter nach, stiegen in blutrünstigen Wellen über tote und sterbende Kameraden hinweg. Mindestens ein Dutzend Minwanabi-Soldaten lagen bereits tot am Boden, als der erste Krieger der Acoma verletzt wurde; noch bevor das Schwert seiner Hand entglitt, drängte sich ein frischer Mann nach vorn und nahm seinen Platz ein. Pausenlos feuerten die Bogenschützen der Minwanabi über die Köpfe ihrer Kameraden hinweg, ohne daß der Pfeilhagel irgendeine Wirkung hatte.
Nahezu eine Stunde brandete der Feind gegen die Barrikade. Einer nach dem anderen starb, bis beinahe hundert Leichen auf dem Boden lagen. Auf Seiten der Acoma gab es noch nicht einmal ein Dutzend Verletzte und nur einen einzigen Toten. Keyoke erteilte einigen Dienern den Auftrag, sich, so gut es ging, um die Verletzten zu kümmern. Auch wenn die ständig niederprasselnden Pfeile ihre Bewegungsfreiheit stark einschränkten, sollte doch kein einziger Soldat, der für die Ehre der Acoma verwundet worden war, ohne die notwendigste Versorgung liegenbleiben.
Keyoke wandte sich an Dakhati: »Bringt frische Soldaten zur Barrikade.«
Dakhati hetzte los, um den Befehl auszuführen. Innerhalb weniger Minuten übernahm eine Ersatztruppe die Verteidigung an der Barrikade, und der Befehlshaber berichtete: »Der Feind macht wenig Fortschritte, Kommandeur. Einige versuchten, auf dem Bauch heranzukrabbeln, ein paar der Toten wegzuziehen und die Brustwehren zu unterhöhlen. Wenn sie Pioniere einsetzen, bekommen wir Probleme.«
Keyoke schüttelte den Kopf. »Pioniere sind hier nutzlos. Der Boden ist sandig, ja, aber das Grundwasser steht zu hoch, und die Arbeiter haben nicht genug Platz zum Graben.« Der Kommandeur schob seinen Helm zurück, um etwas frische Luft an den Kopf zu lassen. Die Kühle der Bergnacht war vergangen, und in der windstillen Schlucht wurde die Luft bereits mit den ersten Sonnenstrahlen wärmer. »Unsere notdürftig errichteten Brustwehren sind ein größeres Problem. Wenn sie auf die Idee kommen, während des Angriffs Männer die Brustwehren wegziehen zu lassen … Speerwerfer sollen sich hinter die erste Reihe knien, vielleicht können sie sie von einer solchen Idee abhalten.«
Dakhati eilte davon, um diesen Befehl in die Tat umzusetzen.
Keyoke begutachtete die Reste der Verteidigungsposition; er ging hochaufgerichtet, den Federbusch stolz erhoben, trotz der über ihn hinwegschwirrenden Pfeile. Die meisten prallten von der glatten Wand der Schlucht ab, doch ein paar fanden den Weg nach unten; einer bohrte sich kaum eine Handbreit von Keyokes Fuß entfernt in den Boden. Ohne den immer noch zitternden Pfeilschaft eines Blickes zu würdigen, trug Keyoke den Dienern auf, die kämpfenden Männer mit Wasser zu versorgen. Dann warf er noch einmal einen prüfenden Blick in die Runde.
Wie Rasende griffen die Minwanabi die Acoma an. Weshalb nur? wunderte sich Keyoke. Die Schlucht war sicherlich gut zu verteidigen, doch sie war auch eine Falle. Während die Minwanabi nur unter hohen Verlusten eindringen konnten, würden die Acoma sterben, sollten sie versuchen auszubrechen. Ein Angreifer, der es nicht eilig hatte, täte besser daran, einfach dazusitzen und abzuwarten. Er könnte die Schlucht belagern, bis der Hunger die Verteidiger zu einer Verzweiflungstat treiben würde. Und dann, wenn sie zu flüchten
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