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Der Sklave von Midkemia

Der Sklave von Midkemia

Titel: Der Sklave von Midkemia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond E. Feist
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Berechnungen. Nur mühsam gezügelte Wut bildete einen Knoten in seinem Bauch. »Lager abbrechen!« brüllte er in einer Lautstärke, die selbst den trägsten schlafenden Diener aufwachen ließ.
    Dem beunruhigten Befehlshaber gab er rasch einige Erklärungen. »Stellt eine Patrouille zusammen, die diesen Mann morgen mit einem Wagen zu Lady Mara bringt. Eine halbe Kompanie soll die restlichen Wagen in unsere Lagerhallen in Sulan-Qu bringen.«
    Der Offizier salutierte. »Jawohl, Truppenführer.«
    »Die übrigen marschieren jetzt sofort mit mir«, beendete Lujan seine Anweisungen. Er hielt sich nicht mit weiteren ausführlichen Erklärungen auf; jede Sekunde zählte. Denn wenn die Minwanabi Keyoke auf dem Paß angegriffen hatten, gab es nur eine Stelle, wohin er sich zurückziehen konnte, um Widerstand zu leisten. Die Fährtensucher würden die Schlucht der Banditen kennen, doch möglicherweise hatte in der Hitze des Gefechts keiner die Gelegenheit gehabt, von ihrer Existenz zu berichten. Verflucht sei Turakamu, dachte Lujan. Die Seide war sicher bereits verloren und Keyoke vielleicht schon eine Leiche, die mit leeren Augen die Sterne anstarrte. Nur ein Narr konnte noch Hoffnung haben … doch für Lujan gab es keine andere Alternative, als zu handeln.
    Denn Lujan liebte Mara mit einer Hingabe, die ihm mehr bedeutete als sein eigenes Leben: Schließlich war er nur ein bedeutungsloser Grauer Krieger gewesen, doch sie hatte ihm seine Ehre zurückgegeben. Und jetzt war der Kommandeur, den Lujan mit einer Zuneigung bewunderte wie ein Sohn seinen Vater, in einer Falle der Minwanabi gefangen. Keyoke hatte die zerlumpten Soldaten aus Lujans Bande aufgenommen, als wären sie mit dem Grün der Acoma geboren, und später hatte er Lujans Beförderung zum Truppenführer mit jener gerechten Einschätzung befürwortet, die wenigen Männern seines Alters geblieben war. Keyoke war mehr als nur sein befehlender Offizier; er war ein Lehrer, der das seltene Talent besaß, Anteil zu nehmen und zuzuhören.
    Mit glanzlosen Augen blickte Lujan nach Süden. Dann wandte er sich an die Kompanie. »Wir brechen auf. Und wenn wir in Sulan-Qu jedes Boot und jede Barke stehlen müssen, um nach Süden zu gelangen, dann tun wir es! Bei Morgenanbruch möchte ich auf dem Fluß sein, und bevor ein neuer Tag vergeht, will ich in den Ausläufern der Kyamakas Hunde jagen!«

    Stille herrschte im Wald. Kein einziger Nachtvogel schrie, und die hohe, steile Kante der Schlucht schirmte sie sogar vor dem Wispern des Windes ab. Nur für eine kurze Stunde, als der Mond über das schmale Stück Himmel über ihnen gewandert war, hatte die Dunkelheit etwas nachgelassen.
    Keyoke widerstand allen Bitten, die Feuerstellen neu zu entfachen, obwohl es in dieser Höhenlage kühl war und die Diener in ihrer leichten Kleidung zitterten. Einige Soldaten versuchten in ihren Rüstungen auf dem feuchten Boden etwas Schlaf zu finden, während andere die Wache übernommen hatten und aufmerksam lauschten.
    Doch nur unwillkommene Geräusche erreichten ihre Ohren: das Poltern losgelöster Steine und unterdrückte Grunzlaute von Männern, die sich im Dunkeln als Kletterer an den Felswänden versuchten. Der Feind war eingetroffen, doch das grausame Warten hatte noch kein Ende.
    Keyoke blieb bei der Barrikade, sein Gesicht so ausdruckslos wie ein Stück altes Holz. Er war gezwungen, auf einem Platz zu kämpfen, den er niemals bei Tageslicht gesehen hatte, und konnte nur hoffen, daß Wiallos Einschätzung stimmte und die Felsen über ihnen zu steil waren, als daß jemand daran herunterklettern konnte. So, wie es stand, konnte Keyoke wenig mehr tun, als die Wachen aufzufordern, dem prasselnden Geräusch fallender kleinerer Steine zu folgen, die sich unter den Füßen der herumkletternden Männer gelöst hatten. Einmal wurden seine Soldaten belohnt, als sie erst einen unterdrückten Schrei hörten und dann den dumpfen Aufprall eines Körpers. Der Tote, der zerschmettert auf dem Grund der Schlucht lag, trug zwar Lumpen, doch für einen Banditen war er viel zu gut genährt und zu sauber; seine Waffen waren von bester Qualität und trugen das Zeichen eines in der Provinz Szetac bekannten Waffenmachers. Es brauchte keine weiteren Beweise. Die Familie dieses Waffenmachers versorgte die Minwanabi schon seit vielen Generationen.
    Keyoke blinzelte gegen die Sterne, die jetzt blasser schienen. Die Morgendämmerung war nah, und schon bald würde der Feind genug Licht haben, um Pfeile abzuschießen.

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