Der Sklave von Midkemia
davon zu überzeugen, daß er im Bett bleiben muß. Denn wie ich Keyoke kenne, verlangt er gleich beim Aufwachen als erstes nach seinem Schwert.«
Die Tage vergingen in hektischer Unruhe. Makler erschienen und verschwanden mit neuen Anordnungen Jicans, organisierten den Verkauf der Needras oder kümmerten sich um die Wagenladungen voller Versorgungsmaterial, die täglich eintrafen. In den Scheunen, die einst Zuchtbullen beherbergt hatten, lagerten jetzt Kisten mit neuen Rüstungen und Schwertern. Die Lederarbeiter der Acoma nähten Zelte für die Unterkünfte in der Wüste, und die Töpfer fertigten Sturmlaternen mit durchbrochener Hülle, in die eingeölte Lumpen als Fackeln hineingelegt werden konnten.
Die Unruhe war nicht auf die Werkstätten der Handwerker begrenzt. Der Übungshof lag unter einer dauerhaften Staubwolke, da Lujan seine Soldaten drillte und jüngst ernannte neue Offiziere ausbildete. Er führte Manöver auf den Feldern, in den Sümpfen und im Waldland durch und kehrte mit ausgewählten Soldaten zurück, um mit ihnen barfuß, die verdreckten Sandalen in der Hand, in das Gemach zu gehen, in dem Keyoke lag und sich erholte. Der Kriegsberater beurteilte ihre Leistungen, kritisierte ihre Schwächen und lobte ihre Stärken. In der Zwischenzeit grübelte er über Karten, auf denen die Ländereien der Acoma eingezeichnet waren, und versuchte Verteidigungspläne auszuarbeiten; von seiner Matte aus gab er den Offizieren Unterricht. Denn niemand zweifelte daran, daß Tasaio von den Minwanabi die Unternehmung in Dustari nur aus dem Grund herbeigeführt hatte, um die Acoma verletzbar zu machen.
Mara selbst war überall; sie überwachte sämtliche Bemühungen, die der Vorbereitung zum Abmarsch dienten. An einem Morgen, als die Lady in ihrem Garten beim Springbrunnen unter dem Ulo-Baum saß, traf Nacoya sie endlich einmal, ohne daß Kevin oder ein Diener oder Berater anwesend war. Mara hatte diesen Platz häufig zum Meditieren aufgesucht, doch in der letzten Zeit verbrachte sie jede freie Minute mit ihrem Sohn. Nacoya warf verstohlen einen prüfenden Blick auf ihre Herrin. Sie schien beherrscht und gelassen bis auf die Furche zwischen ihren Brauen, doch da ihre Hände ruhig waren, hielt Nacoya den Augenblick für günstig.
Die alte Amme betrat den Garten und verbeugte sich vor ihrer Herrin.
Mara bat sie, sich zu erheben und auf den Kissen neben ihr Platz zu nehmen. Sie betrachtete die Erste Beraterin mit Augen, unter denen tiefe Ringe lagen. »Ich habe gestern den Brief an Hokanu geschrieben.«
Die alte Frau nickte langsam. »Das ist gut, aber nicht der Grund, weshalb ich Euch aufsuchte.«
Die Falte auf Maras Stirn vertiefte sich bei dem Ton ihrer Beraterin. »Worum geht es, Mutter meines Herzens?«
Nacoya seufzte tief und gab sich einen Ruck. »Lady, ich möchte Euch bitten, über meinen Nachfolger nachzudenken. Glaubt nicht, daß ich meine Aufgabe nicht liebe oder daß ich die Ehre meines Amtes als Bürde empfinde. Ich diene meiner Lady gern, so gut ich kann. Doch ich werde alt, und ich muß Euch daran erinnern, daß keine jüngeren Bediensteten ausgebildet sind, um den Mantel des Beraters zu übernehmen, wenn ich nicht mehr da bin. Jican ist ein Mann mittleren Alters, doch er besitzt nicht die Schläue und Gerissenheit für Fragen der Politik. Keyoke wäre geeignet und könnte das Amt gut ausüben, doch er und ich sind im gleichen Alter, und es wird nicht immer ein Priester Hantukamas zur Stelle sein, um dem Roten Gott seinen Tribut vorzuenthalten.«
Eine Brise rauschte seufzend durch die Ulo-Blätter, und Wasser plätscherte im Springbrunnen. Maras Finger bewegten sich unter den lockeren Falten ihres Gewandes, und sie zog den Stoff enger um die Schultern. »Ich höre dich, alte Mutter. Deine Worte sind weise und wohlüberlegt. Ich habe über das Problem deiner Nachfolge nachgedacht.« Sie hielt inne und schüttelte sanft den Kopf. »Du weißt, Nacoya, daß zu viele unserer besten Leute mit meinem Vater gestorben sind.«
Nacoya nickte. Sie deutete auf den Springbrunnen. »Das Leben erneuert sich immer wieder, Tochter meines Herzens. Ihr müßt neue Leute finden und sie ausbilden.«
Das war ein riskantes Unterfangen, wie sie beide wußten. Neue Bedienstete aufzunehmen und sie auf eine Ebene hoher Verantwortung zu heben war wie eine Einladung an den Feind, einen Spion einzuschleusen. Arakasis Netzwerk war gut, aber nicht unfehlbar. Dennoch konnte die Notwendigkeit nicht geleugnet werden. Mara
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