Der Sklave von Midkemia
das große Delta weiter aus, in dem es von Flößen wimmelte. Fischer warfen ihre Netze aus, um die weichschaligen Bewohner der Untiefen zu fangen, andere jagten nach Wasservögeln.
Kevin stand vor Staunen der Mund offen, als er das Leben auf den Wasserstraßen von Jamar betrachtete, dem größten Seehafen und Umschlagplatz für Waren aller Art der Provinzen Szetac und Hokani. Die Stadt war nicht einfach nur größer als Sulan-Qu, sie war auch eindrucksvoller und weitläufiger. Die Kais waren so breit wie Prachtstraßen und hoch genug, um auch dann nicht überflutet zu werden, wenn die Stürme aus dem Süden Flutwellen vor sich hertrieben. Über ihre ganze Länge waren sie so belebt wie Durchgangsstraßen; überall waren geschäftige Hafenarbeiter zu sehen, die die Ladungen der Frachtschiffe löschten, die, aus allen Teilen des Kaiserreichs kommend, hier angelegt hatten. Das Wasser stand hoch, denn es herrschte Flut, und während die Barken der Acoma den Kai entlangglitten, begegnete Kevin unzähligen fremdartigen Eindrücken.
Hoch aufgetürmte Ballen farbiger Stoffe lagen Seite an Seite mit zusammengebundenen Stapeln seltener Hölzer, daneben waren Kisten, die komplizierte und mit Bändern versehene Siegel schmückten. Daß diese Dinge wertvoll waren, bewiesen nicht zuletzt die Söldner, die sie bewachten.
Die Barken der Acoma passierten eine ganze Reihe tief im Wasser liegender Frachtboote, die fast bis zum Rand mit Kisten voller Starkbier beladen waren. Exotische Gerüche wehten herüber: Gewürze für die Bearbeitung von Häuten, Parfüms und das volle Aroma gemahlener Chocha-la.
Die Flottille der Acoma glitt weiter, vorbei an Anlegeplätzen, an denen sich Teppiche, Gebetsmatten und Garne, Leder und Lacke, Branntwein und Harz stapelten. Makler mit ihren unvermeidlichen Rechentafeln, Hadonras und Karawanenführer kümmerten sich um die wertvolle Fracht. In glühender Hitze schafften Sklaven die Ladung in zweirädrigen Karren von Bord in die Docks, verluden sie dort in Wagen, um sie auf festem Boden weiterzutransportieren.
Voller Interesse schaute Kevin sich jene Tsuranis an, die er noch niemals zuvor zu Gesicht bekommen hatte. Seeleute mit verschlagenem Blick betranken sich im Schatten enger Gassen oder widmeten sich den bemalten Damen der Ried-Welt, die ihre körperlichen Vorzüge auf Balkonen mit parfümierten Seidenvorhängen zur Schau stellten. Straßenkinder bettelten um Münzen, fliegende Händler boten auf Karren ihre Waren feil und heischten mit ihrem Singsang um Aufmerksamkeit. Perlenverkäufer rangelten um die besten Plätze an den Landungsstegen; jeder wollte der erste sein, um den an Land gehenden Seeleuten Schmuckstücke für ihre Liebsten verkaufen zu können.
Ein Frösteln überlief Kevin, als sie ein gewaltiges Frachtschiff umrundeten und der Sklavenmarkt in Sicht kam. Während die anderen an Bord von Maras Barke keinen einzigen Blick hinüberwarfen, erkannte Kevin den Ort sofort wieder: der hohe Zaun, die in Pferchen stehenden, nackten Männer, die Aufseher mit ihren Stachelstöcken. Die Sklavinnen befanden sich unter Markisen und waren somit zumindest vor der Sonne geschützt; zwar waren sie ebenso dürftig gekleidet, doch die hübscheren waren zumindest sauber – wohl um einen Herrn dazu zu bringen, sie für sein Vergnügen zu kaufen.
Der Anblick erinnerte Kevin plötzlich daran, daß er noch immer Maras Eigentum war, und dieser Gedanke ließ sein Interesse an Jamars fremdartigen Eindrücken erlahmen. Daher bedauerte er es auch nicht, als das Schiff, das angemietet worden war, um die Armee der Acoma über den Ozean zu befördern, in Sicht kam. Netze wurden herabgelassen, an denen zunächst die Cho-ja und dann die Soldaten der Acoma hinaufkletterten. Mara saß ruhig in ihrer Sänfte, als diese von einem Kran an Bord gehievt wurde, der normalerweise dazu diente, die Ladung zu löschen. Schließlich wurden auch noch die Vorräte an Bord gebracht.
Der Kapitän, den Lujan für ihre Reise über das Meer angeheuert hatte, war überaus geschickt und fest entschlossen, nur wenige Minuten später beim höchsten Stand der Flut auszulaufen. Er ließ die Arbeiter auf dem Dock schon die Leinen losmachen, während seine Männer noch damit beschäftigt waren, die Kisten mit den Vorräten festzuzurren.
Das Schiff löste sich vom Kai und wurde von einem mit rund einem Dutzend Ruderern bemannten Boot ins tiefere, weniger dicht bevölkerte Wasser geschleppt. Sklaven pullten im Gleichklang mit den
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